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Das Lächeln meiner Mutter

Das Lächeln meiner Mutter

Titel: Das Lächeln meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delphine de Vigan
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müssen jetzt dringend in Angriff genommen werden. Ich trage ein bisschen zu dick auf, übertreibe, besser, man lacht darüber, nicht wahr, kurzum, ich wiegele ab. In Wahrheit bin ich nicht sicher, die nötige Distanz wahren zu können, damit fertig zu werden, in Wahrheit habe ich das Gefühl, in meinem eigenen Tun, dessen absolute Notwendigkeit nicht mehr so selbstverständlich ist, gefangen zu sein.
    Dennoch, nichts kann mich aufhalten.
     
    Manchmal träume ich davon, zur Fiktion zurückzukehren, ich hülle mich in sie, erfinde, spintisiere, imaginiere, entscheide mich für das Wildromantischste, Unwahrscheinlichste, füge ein paar unerwartete Wendungen ein, erlaube mir Abschweifungen oder auch Abkürzungen und befreie mich von der Vergangenheit und ihrer unmöglichen Wahrheit.
    Manchmal träume ich von dem Buch, das ich
danach
schreiben werde, wenn ich von diesem hier erlöst sein werde.

[home]
    A m Ende des Sommers 1976 zogen wir nach Bagneux, das näher an Paris liegt und wo Lucile eine Mietwohnung in einer kleinen weißverputzten Wohnanlage gefunden hatte. An die Gründe für diesen Umzug kann ich mich nicht mehr erinnern, ich vermute, Lucile wollte näher an ihrer Arbeitsstelle wohnen und konnte die Miete für das Haus in Yerres allein nicht mehr aufbringen. Außerdem war mehrmals bei uns eingebrochen worden, so dass wir am Ende praktisch nichts mehr hatten: keine einzige Schallplatte, kein einziges Armband, keinen einzigen Taschenrechner.
     
    Im September kam ich ins fünfte Schuljahr und auf ein Collège am Stadtrand, während Manon in die erste Klasse der Grundschule in unserem Viertel ging. In den ersten Monaten holte ich meine Schwester von der Schule ab, doch sie ging ziemlich bald allein nach Hause. Manon fand Freundinnen in der Wohnanlage, und es dauerte nicht lange, bis sie ihre Autonomie zu nutzen begann. (Später erzählte sie mir, sie habe in der Hoffnung, auf irgendeinen Schatz zu stoßen, stundenlang die Müllcontainer auf einem nahe gelegenen ungenutzten Grundstück erforscht.) Ich hingegen lernte bei einer Einladung zu einem Glas Nutella Tadrina kennen, ein Mädchen aus meiner Klasse. Tadrinas Kleidungsstücke passten zueinander, sie wohnte in Fontenay-aux-Roses,
auf der anderen Seite,
in einer geräumigen Wohnung voller Antiquitäten, Bilder und Kunstwerke. In meinen Augen verkörperte sie eine Form üppiger und sorgloser Bourgeoisie, ich beneidete sie um ihren Lebensstil, den dicken Teppichboden im Wohnzimmer, die vielen Aufmerksamkeiten, mit denen ihre Eltern sie umgaben. Bei ihr zu Hause verbrachten wir Stunden damit, in den Abendkleidern ihrer Mutter herumzustolzieren oder sämtliche Platten von Boby Lapointe zu hören, deren Texte wir zum größten Teil auswendig konnten. Wir erfanden Rollenspiele, sammelten Parfümpröbchen und stellten Kerzen her, die wir bei ihren Nachbarn im Haus verkauften, damit ich bei ihren nächsten Skiferien mitfahren konnte (eine Klinkenputz-Aktion, die uns neununddreißig Franc fünfzig einbrachte). Tad war alles andere als das verwöhnte Kind, für das ich sie gehalten hatte, sie wurde zu einer meiner ewigen Kindheitsfreundinnen.
     
    Abends wartete ich mit Manon auf Lucile, malte mit Pastellkreide Bilder an die Wände meines Zimmers, bastelte aus Perlen Krokodile und feilte an den Texten meiner Telefonstreiche. (Ungeachtet des Vorhängeschlosses, das Lucile an der Wählscheibe befestigt und dessen Schlüssel ich unverzüglich gesucht und gefunden hatte, gehörten Telefonstreiche zu Tads und meinen Hauptbeschäftigungen.)
     
    Lucile war noch keine dreißig, ich vermute, sie gehörte damals noch zu einer Gruppe, einer Clique, einer Art verästeltem Gefüge vager Beziehungen, zu dem auch ihre Geschwister und Freunde und deren Freunde gehörten und das sich um einige Haupttreffpunkte herum organisierte. Violette und Milo wohnten in Wohngemeinschaften in Paris, Lisbeth war im Département Essonne geblieben, Justine lebte in einer Wohngemeinschaft in einem großen Haus in Clamart. Sie standen untereinander in Verbindung, jedenfalls stelle ich mir das heute so vor, untereinander und mit anderen verbunden, deren Vornamen – Henri, Rémi, Michel, Isabelle, Clémentine, Alain, Juliette, Christine, Nùria, Pablo, Séverine, Danièle, Marie, Robert, zu denen sich stets einige chilenische oder argentinische Flüchtlinge gesellten – für mich eng mit jenem Zeitraum verbunden sind und ihn ausmachen. Wenn jetzt von ihnen gesprochen wird – wo sie wohnen, wie es

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