Das Lächeln meiner Mutter
Thema tauchte immer wieder auf, sogar im Französischdiktat von Madame Lefèvre, in dem ein Schmugglerhund von Polizeikräften verhaftet wurde. Diese Präventionsveranstaltungen stürzten mich in tiefes Unbehagen, besonders in den Stunden, die Lucile fern von uns, fern von allem verbrachte. Denn jeden Abend, unmittelbar nach der Heimkehr, schloss sie die Tür hinter sich. Wir konnten nicht mit ihr reden, ihr nichts erzählen, bevor sie nicht, ganz allein und in ihrem Zimmer abgeschottet, geraucht hatte.
Sehr bald schon wurde mir dieses Ritual unerträglich. Ich war es, die sie morgens weckte, die sich Sorgen machte, ob sie auch wirklich zur Arbeit ging, die ein langes Gesicht zog, weil sie es nicht mehr fertigbrachte, mit uns zu sprechen. Bis dahin war Lucile meine
Maman
gewesen. Eine Maman, die anders war als die anderen, schöner, geheimnisvoller. Doch jetzt wurde mir die körperliche Distanz zwischen uns bewusst, ich sah sie mit anderen Augen, mit den Augen der Schule, der Institution, solchen, die sie mit anderen Müttern verglichen, solchen, die nach der Zärtlichkeit suchten, die nicht mehr in ihren Augen lag.
Mein mentaler Raum wurde bald von einer Idealmutter belagert. Die Idealmutter war eine bürgerliche Hausfrau, die über die Wohlbehaltenheit ihrer Kinder und ihrer Tapeten wachte, eine Spülmaschine besaß, Gerichte mit subtil abgeschmeckten Saucen zubereitete, den lieben langen Tag Jagd auf Staubkörnchen machte und verlangte, dass man beim Betreten der Wohnung Pantoffeln anzog. Die Idealmutter war nicht jeden Abend bekifft, machte Frühstück, bevor sie die Kinder weckte, denen sie, wenn sie sich auf den Schulweg machten, mit einer Träne der Rührung und einem zuversichtlichen Lächeln nachsah. Meine Revolten hatten nichts mit denen meiner Altersgenossen zu tun, sie strebten nach reinstem Konformismus. Ich träumte von einem umfriedeten, eingeschlossenen Leben, das so klar strukturiert wäre wie das Millimeterpapier, auf dem ich an meinen Geometrieaufgaben scheiterte. Vermutlich hatte ich keine andere Möglichkeit, die undefinierbare wachsende Angst auszudrücken, die mich zu würgen begonnen hatte. Ich entfernte mich von Lucile, oder sie sich von mir, ich nahm ihr übel, dass sie nicht stärker war, dass sie sich dem Leben nicht stellte.
Eines Sonntags ging Lucile mit uns ins Theater, um ihren Bruder Milo zu sehen, der in einem Stück von Molière den Diener spielte. Anschließend gingen wir zu ihm, um ihm zu seiner Leistung zu gratulieren, und ich betrachtete seine dichten Locken, die aussahen wie die von Sammelpuppen und sich sträubten, wenn er sprach.
An einem anderen Sonntag ging ich mit Lucile zum Flohmarkt von Saint-Ouen, wo sie ein paar Sachen für die Küche kaufte.
Jedes zweite Wochenende fuhren wir mit dem Zug in die Normandie, wo Gabriel jetzt lebte. Anfangs brachte Lucile uns mit der Metro bis zur Gare Montparnasse. Später fuhren wir allein hin. Im Zug vertrieben wir uns die Zeit mit Lesen und Spielen. Gabriel holte uns mit dem Auto in Verneuil-sur-Avre ab und fuhr dann mit uns in das Dorf, in dem er mit seiner neuen Frau wohnte. Wir betraten eine andere Welt, eine Welt, in der alles an seinem Platz war, in der es scheinbar an nichts fehlte.
Da Lucile und Gabriel nicht in der Lage waren, miteinander zu telefonieren, wurden alle Informationen über die Schulferien, die Zugfahrpläne und die praktische Organisation unserer Fahrten über mich ausgetauscht: Maman lässt dir sagen, Papa wäre es lieber, Maman ist damit nicht einverstanden. Bei den wenigen direkten Telefonaten legte Lucile vor dem Ende des Gesprächs auf und brach in Tränen aus.
An einem Tag im Frühling erhielten wir die telefonische Nachricht von Milos Tod. Irgendwo in einem Wald oder auf einer Lichtung hatte sich Luciles Bruder eine Kugel in den Kopf geschossen. Ich begriff die Tragweite dieser Nachricht nicht gleich. Als ich meinen Vater informierte (wegen Milos Tod konnten wir erst ein Wochenende später kommen), wollte er mit Lucile sprechen. Lucile und Gabriel führten ein Gespräch, das mir normal vorkam und nicht mit Geschrei endete. Im Stillen dankte ich Milo für dieses Wunder. Einige Tage darauf fuhren wir nach Pierremont, wo die Trauermesse gelesen werden sollte. Dieses Mal bekam ich den Schmerz, der meine Familie zerriss, in allen Einzelheiten mit, wie Schießpulver sättigte er die Luft.
In den Wochen danach machte ich mir noch mehr Sorgen um Lucile. Die Angst verließ mich nicht
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