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Das Land der lebenden Toten

Das Land der lebenden Toten

Titel: Das Land der lebenden Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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sagte Gilgamesch also. »Ich werde dir Modell sein, Ruiz. Ich komme morgen zu dir, ja?«
    Und dann sagte Dumuzi: »So, jetzt setzt euch alle! Jetzt wollen wir den Wein trinken und essen!«

15
    E S WAR DIE S TUNDE des ersten Frühlichts. Sie hatten die ganze Nacht lang durchgezecht. Simon Magus hing schnarchend in seinem Sessel. Der alte Zauberer war das ganze Festbankett hindurch unruhig und gelangweilt gewesen und hatte sich irgendwie vernachlässigt gefühlt und fehl am Platze. Herodes hockte über seiner Flasche goldenen Weins, es war noch dieselbe Flasche, an der er bereits den halben Abend lang genippt hatte; er wirkte zerfranst und abgeschlafft, am Ende seines Durchhaltevermögens, doch fest entschlossen, durchzuhalten. Er war in ein ernsthaftes Gespräch vertieft mit einem mageren dunklen Mann mit gewaltigem Bart in einem weißen weiten Gewand. Und Dumuzi, der verquollene Augen hatte und ganz bleich war, schien sich ebenfalls sichtlich gegen das Einschlafen zu wehren, obwohl ihm immer wieder der Kopf vornüber sank, Ninsun, gegenüber, sah müde aus, hielt sich aber tapfer, und der kleine alte Mann Ruiz an ihrer Seite zeigte keinerlei Anzeichen von Müdigkeit; seine Augen waren noch immer funkelnd-scharf, und er bekritzelte die Tischdecke, benutzte Teller, jede glatte Oberfläche für Dutzende von Zeichnungen.
    Vy-otin, der sich in seiner scharfgebügelten makellosen Spättoten-Kleidung zweifellos entsetzlich unwohl fühlte, trat zu Gilgamesch und sagte leise: »Komm, verschwinden wir hier und gehen wir ein paar Schritte. Die Luft draußen ist frischer, und ich muß dir einiges sagen. Dir vielleicht ein paar Ratschläge geben.«
    »Klar, sicher«, sagte Gilgamesch.
    Er stand auf, verneigte sich vor Dumuzi – es kam ihn ziemlich hart an, seinen Stolz zu überwinden und sich vor dem Kerl zu neigen und um die Erlaubnis zu bitten, sich vom Tisch zu entfernen. Der König wedelte schwächlich mit der Hand. Dann gingen er und der Häuptling der Eisjäger durch die hohe Festhalle zu dem fernen Ausgang.
    Im frühen Morgenlicht hatte alles einen rötlichen Schimmer. Die Sonne hing tief am Firmament, ein fetter aufgeblähter Kloß, als würde sie bis zum Mittag brauchen, um bis zu den Gipfelspitzen der Berge der Nachwelt zu klimmen.
    Gilgamesch sagte: »Wie friedlich ist es doch um diese Stunde. Sogar hier in der Nachwelt findet man ab und zu Frieden.«
    Das windgegerbte Gesicht Vy-otins erstarrte, das eine Auge funkelte scharf. »Frieden? Anderwärts vielleicht, aber nicht hier. Der einzige Frieden, den du hier in Uruk finden wirst, ist der Frieden des Todes. Hau ab aus dieser Stadt, alter Freund, so rasch es geht!«
    »Aber ich bin doch gerade erst angekommen, Vy-otin. Es würde einfach von schlechten Manieren zeugen, wenn ich so rasch wieder abreiste.«
    »Schön, dann bleib hier. Aber nur, wenn dir dein derzeitiges Leben eine Last ist.«
    »Du denkst, ich bin hier in Gefahr?«
    »Sag du mir das eine, und was du mir sagen wirst, es soll verschwiegen sein zwischen uns nach unserem uralten Bruderschwur: Bist du nach Uruk gekommen, um den Thron zurückzugewinnen, Gilgamesch?«
    Bestürzt blieb dieser stehen. »Ja, glaubst du denn, daß ich deswegen hier bin?«
    »Dumuzi glaubt es.«
    »Ach? Wirklich? Er steckte schon immer voller Angst.«
    »Und er wird dich ermorden lassen, wenn du hierbleibst«, sagte Vy-otin.
    »Er wird es versuchen, ja. Damit rechne ich. Aber er wird feststellen, daß es nicht so leicht ist, mich zu beseitigen.«
    »Er ist König in der Stadt, Gilgamesch.«
    »Und ich, ich bin Gilgamesch. Ich werde hier verweilen, solange es mir beliebt. Niemand von sumerischem Blut wird es wagen, die Hand wider mich zu erheben.«
    »Aber nicht alle in Uruk sind Sumerer«, sagte Vy-otin. »Höchstens einer unter zehnen ist es, vielleicht. Es gibt viele hier, die sich gern mit dem Ruhm schmücken möchten, den berühmten Gilgamesch erschlagen zu haben. Dumuzi wird keinen Mangel an Mordbuben haben.«
    »Sollen sie kommen, ich kann mich verteidigen.«
    »Zweifellos. Aber dann ist es doch wahr, daß du gekommen bist, um ihm den Thron zu nehmen?«
    »Nein!« sagte Gilgamesch grimmig. »Weshalb unterstellt ihr mir alle so etwas? Ich will weder seinen Thron noch irgendeinen anderen. Glaube mir, Vy-otin, mir ist die Lust auf Macht schon vor langer Zeit abhanden gekommen. Und das ist die reine Wahrheit. Glaub mir. So glaub mir doch!«
    Vy-otin lachte. »In einem Atemzug verlangst du gleich dreimal, daß ich dir glauben

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