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Das Land der lebenden Toten

Das Land der lebenden Toten

Titel: Das Land der lebenden Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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haben. Es werden zwei oder drei sein, schätze ich. Höchstens fünf. Ihr habt ausreichend Zeit, sie zu entdecken. Es dürfte nicht schwer sein. Es sind bestimmt keine Sumerer, und sie werden sich durch ihre Nervosität verraten, und außerdem werden sie Gewehre oder sonst irgendwelche von diesen Feiglingswaffen der Später Toten benutzen. Deine Männer werden sie einen nach dem andern festnageln und sie hinabstürzen. Das ist doch kein Problem.«
    Vy-otin nickte. »Genau. Bis später dann.«
    Picasso schloß die Augen und ließ die Erinnerungen in sich wieder aufquellen: das alte Leben, die thymiangeschwängerte trockene Sommerluft am Mittelmeer, die Hitze, die drängenden Menschenmassen, die Geräusche. Wenn er nicht hinsah, konnte er sich beinahe einbilden, daß er acht, neun Jahre alt sei, wieder neben seinem sandbärtigen Vater in der Arena in Malaga sitze, wo die Kämpfe die feinsten und elegantesten der ganzen Stierkampfwelt waren. Er skizzierte, schon damals zeichnete er unablässig, den Picador auf seinem kleinen dürren Klepper mit den verbundenen Augen; den nobel überheblichen Matador; den Bürgermeister in der Ehrenloge. Oder er konnte sich vorstellen, daß es die Arena von La Corunha sei, oder die in Barcelona, oder die in Arles – eine uralte römische Arena genau wie diese hier, die er jedes Jahr zu besuchen pflegte, als er alt geworden war – mit seiner Frau Jacqueline und mit seinem Sohn Paul, mit Sabartes.
    Aber das lag alles weit zurück und in einer anderen Welt. Das hier war die Nachwelt, und der Himmel war neblig-düster und die Luft schwer und stechend, und das Volk um ihn herum schnatterte und kreischte englisch, griechisch, in irgendeinem mesopotamischen Kauderwelsch, in beinahe jeder erdenklichen Sprache, nur nicht in seinem guten alten ehrlichen Spanisch. Reglos saß er mitten in dem Getöse und wartete, die Hände an den Flanken, schweigend, einsam. Es hätte ebenso gut niemand ringsumher sein können. Er war sich bewußt, daß die Priesterfrau Ninsun an seiner Seite saß, prachtvoller als je, in einem dunkelpurpurnen Kleid, das mit Goldfäden durchwirkt war; auch daß ihr riesenhafter Sohn, Gilgamesch, neben ihm saß, und der getreue Sabartes und dieser kleine römische Judäer Herodes, und dieser andere Römer, der feiste alte Diktator Simon. Aber sie alle waren für ihn jetzt zu bloßen Gespenstern verblichen. Während er darauf wartete, daß die Corrida beginne, sah er nur noch die Arena, das Tor, hinter dem die Toros warteten, und die Schatten, die der bevorstehende Wettkampf vorauswarf.
    »Es dauert nicht mehr lange, Don Pablo«, murmelte Sabartes. »Man hat nur auf den König gewartet. Aber, siehst du, jetzt sitzt er in seiner Loge. El Rey.« Sabertes deutete nach links zur Königsloge gleich nebenan. Mit einem flüchtigen Blick aus dem Augenwinkel sah Picasso den blöde wirkenden König, wie er breit lächelnd der Menge zuwinkte, während seine Höflinge durch Handzeichen alle aufforderten, ihm zuzujubeln. Picasso nickte. Sicher, man mußte warten, bis der König erschienen war, ja. Aber er hatte keine Lust, noch länger zu warten. Er hatte sich extra formell gekleidet, trug einen dunkelblauen Anzug, ein weißes Hemd und sogar eine Krawatte, schließlich war die Corrida eine ernste Angelegenheit und erforderte den gebührenden Respekt. Doch in dieser feuchten Hitze fühlte er sich alles andere als bequem. Wenn der Kampf erst einmal begonnen hatte, würde er das Klima nicht mehr wahrnehmen, nicht den Würgedruck an seinem Hals und auch nicht die klebrige Verschwitztheit auf seinem Rücken. Wenn sie doch endlich beginnen würden, dachte er. Wenn sie endlich anfingen!
    Doch was war das? Eine erneute Verzögerung, eine Unterbrechung, eine Störung nebenan?
    Der gewaltige Sumerer war aufgesprungen, tanzte herum und brüllte wie ein Wahnsinniger: »Enkidu! Enkidu!«
    »Gilgamesch!« brüllte einer, der gerade in die Loge gekommen war, ein Kerl, genauso gigantisch groß, aber doppelt so erschreckend wie Gilgamesch, hatte sich hereingedrängt. »Mein geliebter wahrer Bruder! Mein Freund!«
    Auch dieser Mann war ein Sumerer seinem Aussehen nach. Aber er wirkte fremdartig, zottig, fast wie ein wildes Tier, hatte etwas Loderndes an sich, schwarze Haare, die ihm über die Augen fielen und einen so dichten Bart, daß er fast das ganze Gesicht verdeckte. Noch ein Minotauros, dachte Picasso, und noch echter als der erste. Und jetzt stürzten die zwei sich aufeinander wie zwei Berge, Gilgamesch

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