Das Land der lebenden Toten
Ende sogar den Kopf. Man konnte diese Mißgeschicke auf einen Unstern zurückführen, vielleicht, oder auf ein Übermaß an Begeisterung, die zu kühnen unausgereiften Abenteuern verleitete, die mit mehr Erfolg später von weniger wagemutigen Männern durchgeführt werden würden, aber das waren doch wirklich keine Todsünden, wenn einer Pech hatte, wenn einer übereifrig war. Hier dagegen, wo er dazu verdammt war, durch ein Land hin und her zu ziehen, das jegliche Vernunft verhöhnte, wo sich seine Karten über ihn lustig machten, wenn er sie studierte – nein, nein, es war einfach zu viel. Aus Liebe zur Königin war es soweit mit ihm gekommen, war er so weit vorgedrungen und hatte dies alles erduldet, doch allmählich gewann Raleigh den Eindruck, daß er um Elizabeths willen genug gelitten hätte, und eigentlich auch genug für sein eigenes unersättliches Wesen. Wohin hatte es ihn geführt, dieser ganze hochfliegende Ehrgeiz, sein ganzer Wagemut, sein ungebärdiger und unbezähmbarer Wille? In Länder voller Menschenfresser und Ungeheuer, und zu Menschen, denen der Kopf unterhalb der Schultern hervorwuchs, und an Orte, an denen es nur Sand zu trinken und nur blattlose Zweige zu essen gab. Düster sah er zu den drei zusammengebrochenen Jeeps hinüber, die letzten erbärmlichen verrosteten Reste der einhundertundfünfzig Fahrzeuge, mit denen seine Expedition vor – wie ihm schien – einem Jahrhundert – so grandios aufgebrochen war.
Wenn ich aus diesem unfruchtbaren Land jemals wieder lebend herauskommen sollte, schwor er sich, dann will ich mich zur Ruhe setzen und nie wieder in die Ferne ziehen! Beim Rood, ich will nicht mehr wandern, nicht um der Queen zu gefallen, noch um meinetwillen und für keinen andern Menschen! Jesu Cristo, ich will es nicht tun, ich schwöre es!
»Na, also haben wir unsere Karte wieder«, sagte er säuerlich. »Vergebt mir, Hakluyt, doch was bringt uns das Gutes? Können wir die Karte trinken? Können wir sie essen? Wir sitzen in dieser Wüste schon fünfzigmal länger als Moses, und nimmt sie je ein Ende? Du sagtest, hinter dem Outback liegen grüne Felder und ein Meer und dort ist auch ein Weg ins Land der Lebenden…«
»Das war der Doktor Dee, der das sagte, Sir Walter.«
»Nun, du oder der Dee, wer immer, was nutzt uns das jetzt? Jenseits von diesem Outback lag wieder nur eine neue Wüste, und es sieht nicht so aus, als wären wir die los, Karte hin, Karte her! Bei den Wundmalen des Herrn, meinst du, ich hätte noch die Kraft, um weiterzuziehen? Glaubst du das wahrhaftig?«
»Aber wir sind nicht mehr weit von der Stadt Uruk entfernt, und wenn sie uns dort aufnehmen und uns Wasser geben, könnten wir von dort weiterziehen zur Insel Brasil, wo mit gutem Glück…«
Raleigh hob die Hände zum Himmel. »Mit gutem Glück, ja, aber wie’s mein Glück will, mit Hunger und Durst und die ganze Zeit mit wunden Füßen. Und der äußersten Gewißheit auf Kummer und Mühsal. Und was ist das überhaupt für ein Ort, dieses… dieses Uruk?«
»Eine große Stadt der Sumerer, Sir Walter. Berühmt für seinen Reichtum und seine Macht.«
»Und wer sind die, deine Sumerer? Sarazenen, willst du wohl sagen? Muselmanische Heidenschurken?«
»Es ist eine babylonische Rasse«, sagte Hakluyt, »eine sehr alte, und sie schreiben mit kleinen Sticheln auf weiche Tontafeln. Sie erbauten den Turm in Babel in Nimrods Tagen, und das war noch vor Abrahams Zeit.«
»Es sind also keine Sarazenen? Und sie kennen Mohammed nicht?«
»Ich glaube, sie sehen aus wie Sarazenen, Sir Walter, sind es aber nicht.«
»Aber auch keine Christenmenschen. Und sie werden mit Freude sehen, wie unsere Knochen im Sand bleichen, möchte ich meinen.«
»Jene, mit denen wir sprachen, waren freundliche Leute. Bauersleute waren die, harmlos, ohne Arglist. Sie werden binnen einer Stunde mit Hilfe für uns zurückkehren, möchte ich wetten, und dann haben unsere Leiden ein Ende.«
»Und was willst du als Einsatz geben, Richard? Deine Lesegläser? Deine löcherigen Stiefel, aus denen die Zehen hervorschauen? Oder vielleicht eins von deinen geographischen Manuskripten? Ja, und ich setze dagegen meinen zinnernen Trinkbecher oder meine Pfeife, in der kein Toback mehr ist, oder mein…«
»Sir Walter? Sir Walter?« Eine Stimme von ferne.
»Wer ist denn das?« fragte Raleigh und blinzelte gegen die Sonne.
»Helena, glaube ich«, murmelte Hakluyt.
»Ach ja, diese Schlampe! Was hat sie denn jetzt wieder zu keifen, möchte ich
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