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Das Land der lebenden Toten

Das Land der lebenden Toten

Titel: Das Land der lebenden Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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wissen?«
    »Sir Walter! Sir Walter!«
    »Ich kann dich hören, Mädchen«, sagte Raleigh. »Was gibt es?«
    Sie kam auf ihn zugerannt, weißgekleidet, mit dunklem Haar, glatter Haut, makellos. Sie wirkte von den Strapazen der Wüstenwanderung so unberührt, als hätte sie die ganze Zeit in Moschus und den Salbölen Arabiens gebadet.
    »Mädchen?« Sie kicherte leichthin. »Nennst du mich ein Mädchen? Mich, die ein dreitausendjähriges Leben voller Wollust hinter sich hat? Also, wirklich, Sir Walter!«
    »Komm nicht auf schiefe Gedanken. Ich habe weiter nichts damit gemeint.« Raleigh klang gereizt. Sie sah ebenso aufgeregt aus, wie Hakluyt es wegen der Landkarte gewesen war, und sie glühte und gibberte förmlich. Und sah sehr schön aus überdies, auf ihre dunkle türkische Weise. Ihre berühmte Schönheit hatte ihn eigentlich stets kaltgelassen – für seinen Geschmack war sie zu dunkel; man führe ihm eine bleiche, blonde keusche britische Maid zu, nicht eine von diesen schwülhitzigen Muschis aus dem Osten; außerdem hatte diese Frau etwas Unwirkliches, Ungreifbares an sich, war zu vollkommen, wie ein Wachspuppenweib, ohne Leben im Leib – doch jetzt erweckte es den Anschein, als sei der Funke in ihr wieder entzündet worden, und sie strahlte geradezu wie eine Kaiserin. Das Antlitz, das tausend Schiffe aufs Meer trieb, dachte Raleigh, und nicht zum erstenmal, schön, wenn sie es nur jetzt fertigbrächte, ein Schiff segeln zu lassen, das uns an einen leidlich angenehmeren Ort bringt! »Was setzt dich denn so in Flammen, Helena?« fragte er.
    »Die Sumerer! Sie sind gekommen, um uns zu retten. Mit einer ganzen Flotte von Landrovern!«
    »Was? Die sind hier?« Raleigh rappelte sich auf die Beine, schwankte benommen, sah sich nach seiner Rüstung um. »Wieviel? Wo?«
    »Fünfzig oder vielleicht hundert. Alle bis an die Zähne bewaffnet wie Achilles, jeder einzelne Mann. Aber sie wirken nicht feindlich.«
    »Habe ich es dir nicht gesagt«, sagte Hakluyt.
    Und Helena sagte: »Sie führen uns in ihre Stadt. Und sie geben uns zu essen und zu trinken. Und alles auf den Befehl ihres Königs, der Gilgamesch heißt.«
    Raleigh sagte achselzuckend: »Nie von dem Kerl gehört. Ist der auch da?«
    »Er hat seinen Stellvertreter gesandt«, sagte Helena. »Ein prachtvoller Riese von einem Mann, mit dem Namen Enkidu, und ganz erstaunlich kräftig und bildschön.«
    »Bildschön?«
    »Aber ja!« gurrte Helena. »Ja! Ein wahrer Herkules. Achilles war im Vergleich mit ihm ein Wicht. Und Paris, Menelaos, Agamemnon, sogar Hektor – die waren alle im Vergleich zu ihm – nichts! Nichtse! Ach, Sir Walter, wir sind gerettet! Gerettet! Gerettet!« Aber dann sah sie zu Hakluyt, der sie auf seine trockene, unpersönliche Gelehrtenart studierte, aber trotz allem auf eine irgendwie blutlose Art fasziniert, als wäre sie nicht die berühmteste Erz-Verführerin, die es je gab, sondern eine selten kostbare Handschrift oder sonst irgendein derartiger Schatz, auf den Gelehrte so gern und geil abfahren. Und so sprach sie zu ihm: »Es müßte doch etwas in eurem Archiv darüber geben, Doktor Hakluyt, nicht wahr? Über diesen Mann Enkidu? Sag mir, was du über ihn herausfindest! Sag mir alles. Ich will alles wissen, was es über diesen Mann an Unterlagen gibt. Und ich… ich möchte es sogleich wissen!«

19
    I CH HABE VERNOMMEN «, Gilgamesch lehnte sich bequem auf seinem Thron zurück, »daß euch nichts Geringeres in diese Gegend geführt hat als die Suche nach dem Tor zum Land der Lebendigen.«
    Über Raleighs Gesicht huschte ein flüchtiger, aber wirklich nur sehr flüchtiger Hauch von Überraschung. Dann sagte er bemerkenswert ruhig: »Man erzählt sich vielerlei seltsame und erfundene Geschichten über mich, Majestät. Ich wünschte, ich besäße einen Shilling für jede.«
    »Es sind also alles Lügen?«
    »Nicht alles. Ich habe in der Tat einiges von dem vollbracht, was man mir zuschreibt. Aber nicht sehr viel.«
    Gilgamesch lachte. »Das kenne ich. Sobald einen die Dichter und Romanschreiberlinge in die Finger bekommen haben, gibt es kein Ende, was?«
    »Und die Neider, Majestät. Vergiß nicht die Neider. Diese kleinen kläglichen Nichtse, deren Leben nur aus Lug und Trug besteht und deren Zungen Tag und Nacht schnattern und die sich Taten für Größere, als sie es sind, aus den Fingern saugen, und sich dabei wünschen, sie brächten selber den Mut zur Größe auf – sie münzen alle Wahrheit in Falschgeld um durch ihre bloße

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