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Das Land der lebenden Toten

Das Land der lebenden Toten

Titel: Das Land der lebenden Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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gleichmäßigen Schritten zu entfernen, ohne sich noch einmal umzuwenden.
    Der Wursthändler aber schrie weiter laut, und der Wachmann rief ebenfalls etwas. Manche der Menschen starrten her. Nach zwanzig Schritten warf Gilgamesch über die Schulter einen Blick über die dichten Menschenmassen hinter sich und sah, daß der blaugekleidete Mann hinten irgendwie eine winkende heftige Handbewegung machte, dann die Faust wider ihn hob und schüttelte, und sich mit einem Achselzucken abwandte. Dann hörte er das wütende Schreien des Wurstverkäufers noch eine Weile, dann nicht mehr.
    Wahrscheinlich war es eine zu große Mühe für den Mann, ihn in der Menschenmenge wegen der Summe für ein Würstchen zu verfolgen. Aber während Gilgamesch rasch weiter die Straße hinunterschritt, begriff er, daß er vorsichtig sein mußte. Selbstverständlich mußten die Menschen hier Geld für Nahrung fordern. Aber in seinem Beutel befand sich nichts, was aussah, als wäre es ein ortsübliches Zahlungsmittel. Anscheinend hatte ihn der Behaarte Mann hierher geschickt, ohne ihn ausreichend vorzubereiten, wie man sich in dieser anderen Welt zu verhalten hatte, und ihn so gezwungen, auf alle Reste von persönlichem Einfallsreichtum zurückzugreifen, über die er verfügte.
    Er überlegte sich, ob er eine Chance hatte, mit diesem verwirrenden, komplizierten Ort zurechtzukommen. Er hatte zu lange abgesondert gelebt, war seinen einsamen Pfad durch die Wildnis gezogen, und als er sich wieder zwischen die anderen Menschen, die Männer und Weiber, begeben hatte, war er König gewesen. Von einem König wurde nicht verlangt, daß er die Kunst beherrschte, wie man auf der Straße Würstchen kauft. Sein Enkidu, ungeschliffen, direkt und ungehemmt, wie er war, Enkidu war wahrscheinlich weit besser darauf vorbereitet, sich hier zurechtzufinden, als er.
    Doch wo sollte er in diesen Massen von Fremden Enkidu finden können?
    Er wanderte weiter. An jeder Straßenecke standen Signalmaste mit Lampen, die angaben, zu welcher Zeit die Fahrzeuge sich bewegen durften und wann die Fußgänger. Rotes Licht – Warten. Grünes Licht – Gehen. Eine vernünftige Einrichtung, jedenfalls für hier. Doch Gilgamesch bezweifelte stark, daß so etwas in dem Zufallsdurcheinander der Nachwelt funktionieren würde, wo die Signale höchstwahrscheinlich gleichzeitig rot und grün leuchten würden, oder grün für alle, oder in einer gänzlich anderen Farbzusammenstellung.
    Überall standen Verkäufer, die auf Wagen Essen feilboten. Die Düfte, die davon aufstiegen, lösten in ihm einen qualvollen Hunger aus. Ihm war ganz schwach vor Hunger, doch er zwang sich weiterzugehen. Bis er herausfand, wie man hier auf anständige Weise an Nahrung kam, wollte er mit diesem schwierigen Volk mit der ordinären Sprechweise nichts zu schaffen haben.
    Vor ihm lag nun eine bedeutende Kreuzung, wo eine zweite breite Straße jene kreuzte, die er entlangging. Auf der anderen Seite erblickte er ein beeindruckendes Bauwerk, das dem recht ähnlich sah, das er ungefähr ein Dutzend Straßen weiter hinten gesehen hatte, ein Stück von der Straße abgesetzt, steinern grau, von weit geringerer Höhe als die es umgebenden Bauten, jedoch ebenfalls groß in Masse und Weite, und man gelangte von einer Plaza aus über eine weite Steintreppe hinauf. Das Gebäude hatte keine Türme, und seine Fassade war nicht mit so reichen Steinschnitzereien versehen wie die des anderen Hauses, das, wie er sich überlegte, ein heiliges Haus gewesen sein mußte, eine – wie hatte Herodes das genannt? – eine Kathedrale. Davor befanden sich zwei Statuen von Löwen, nicht besonders furchteinflößende Löwen, vielleicht Symbolfiguren für die Kraft und Güte des Ortskönigs.
    Hier konnte recht gut der Regierungspalast sein, dachte Gilgamesch. Dann war es wohl angebracht, dort einzutreten, einem der Wesire zu bedeuten, daß er der König eines fernen Landes sei, durch plötzlichen Zauber hierher versetzt, und daß er seinen Bruder, den Herrscher dieses Ortes, um Gastfreundschaft bitte. Zweifellos würden sie hier nichts von Uruk gehört haben, dennoch war er zuversichtlich, daß die Beamten des Hofes ihn freundlich empfangen würden. Sie würden ihn ganz sicher ernstnehmen müssen, so königlich wie seine Haltung und sein Gehaben waren, so selbstsicher. Und gewiß würden sie ihn auch mit wärmerer Kleidung ausstatten, ihn mit einigen Münzen aus der königlichen Schatulle versehen, und der König würde ihm bei der Suche nach

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