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Das Land der lebenden Toten

Das Land der lebenden Toten

Titel: Das Land der lebenden Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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irgendein anderer Baum. Was immer dies für ein Ort war, Gilgamesch sah keine unmittelbare Fluchtmöglichkeit. Und er sah auch keinen seiner beiden Begleiter, mit denen er den Übertritt gemacht hatte.
    Er starrte in das wilde Gewühl um sich herum.
    »Enkidu?«
    Keine Antwort.
    »Enkidu? Hörst du mich? – Enkidu? – Enkidu?«
     
     
    Daß er sich hier in einer anderen Welt befand, daran zweifelte er nicht. Ziemlich wahrscheinlich handelte es sich dabei tatsächlich um das Land der Lebenden, aber in den Tausenden von Jahren seit seinem letzten Besuch zur Unkenntlichkeit verändert, und nicht nur durch eine alptraumhafte Vision, die irgendwie durch die Salbe des Haarmenschen hervorgerufen worden war. Die Sonne war gelb, so wie er sie aus der Welt seiner ersten Geburt in Erinnerung hatte, nicht rötlich. Die Fahrzeuge in den Straßen waren denen der Später Toten aus der Nachwelt recht ähnlich, mit geringfügigen subtilen Formvarianten, womit aber natürlich zu rechnen gewesen war. Alle Leute waren hier mehr oder weniger gleich gekleidet; keine Spur von der breiten Vielfalt von Kleidung, Erscheinungsbild und Gehaben, von der zufälligen ungezwungenen Vermischung aller Zeitstile und Völker, wie man sie in allen großen Städten der Nachwelt sehen konnte. Aber vor allem: Jedes und alles, das sich nicht in Bewegung befand, wirkte starr, fest, bleiern, festgenagelt an seinem Ort. Die Fassaden der Gebäude verschoben sich nicht mit jener traumhaften Beweglichkeit, wie Gilgamesch sie mit der Nachwelt verband, die Straßen vermittelten ihm nicht den Eindruck, sie könnten ihre Richtung ändern, alles war fest, starr, steif und regelmäßig.
    Und er sah auch keine Dämonenwesen, weder kleine noch große, wie sie überall in der Nachwelt umherfliegen und
-gleiten und -kriechen und -hüpfen und -tanzen, in den Städten und auf dem Lande. Die einzigen Tiere hier waren anscheinend Hunde – Hunde von seltsamer Rasse, denen gar nicht sehr ähnlich, die er kannte, und sie waren an Leinen gebunden und begleiteten die Passanten in den Straßen. Ein großer dunkler Hund mit steif nach oben ragenden Ohren blieb stehen, knurrte Gilgamesch an und scharrte in plötzlicher grundloser Hast auf dem Pflaster, und es kostete Gilgamesch einige Zurückhaltung, sich nicht auf die Bestie zu stürzen und ihr mit dem Dolch die Kehle aufzuschlitzen.
    Doch er trug ja gar keinen Dolch bei sich. Und er hatte auch seinen Bogen nicht. Er war gänzlich waffenlos, merkte er, und das war ein Gefühl, schlimmer als nackt zu sein.
     
     
    Es war leichter geworden, als sie erwartet hätte, auf diesen großen merkwürdigen Baum zu steigen. Als sie nach oben blickte, dachte Helena, es werde ihre Kräfte übersteigen, von einem der riesigen Äste zum anderen zu klettern, doch sobald sie damit begonnen hatte, erschien es ihr beinahe so mühelos wie sich im Wasser treiben zu lassen.
    Sehr merkwürdig, höher und höher zu schweben und dabei scheinbar wie in einem gewaltigen Treppenhaus abwärts zu steigen.
    Nun, das war getan. Hier war sie. Kein Enkidu, kein Gilgamesch – nur Horden von häßlichen kleinen Später Toten, die wie besessen durch die überfüllte Straße drängten. Und die Luft war kalt, und es blies ein schneidender Wind. Es war hier sogar noch windiger als in Troja, und außerdem stank die Luft, war schwerbeladen von Staub und Rauch, so daß sie fürchtete, es würde ihr die Haut wundscheuern, wenn sie noch länger in dieser Luft verweilte. Die hohen Häuser waren allerdings wirklich beeindruckend, mächtige schimmernde Türme, die aussahen, als wohnten dort Götter. Aber sie fand den Ort erregend, sein Tempo, den harten heftigen Pulsschlag. Sie wußte, sie würde hier zurechtkommen.
    Doch zunächst mußte sie irgendwie Enkidu finden…
    Das Haus gleich vor ihr schien eine Art Regierungsgebäude zu sein, oder vielleicht ein sakraler Ort. Es erhob sich als breiter niedriger Bau aus grauem Stein an der Kreuzung zweier großer Durchgangsstraßen auf einem hohen platzähnlichen Postament mit breiten Stufen. Auf der Treppe saßen, trotz der Kälte, Menschen und lasen oder redeten, oder sie begafften einfach nur die anderen, die drunten auf der Straße vorübergingen. An den Flanken der erhöhten Plaza sah sie die steinernen Bilder zweier Idole, Löwengottheiten, die auf eigenen niedrigen Piedestalen ruhten.
    Dort drin fand sie vielleicht zuständige Ortsbeamte, konnte ihre Bedrängnis erklären, sich eine Unterkunft besorgen lassen…
    Von den

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