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Das Land der lebenden Toten

Das Land der lebenden Toten

Titel: Das Land der lebenden Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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sich entsetzlich davor, daß ein wirkliches echtes menschliches Gefühl die wohlkalkulierte Oberfläche seiner Manierismen durchbrechen könnte. Diese armen Narren müssen zu Tode erschrocken sein, als die Sklavenmädchen anfingen, sie auszuziehen, sie mit warmer Milch zu übergießen und ihre Körper zu streicheln. Bestimmt haben sie sich von dieser zweifelhaften Lustempfindung noch nicht wieder erholt, dachte Gilgamesch. Er konnte sich gut vorstellen, was für Entsetzensschreie sie ausstießen, als die kleinen Mongolenmädchen sich an sie heranzumachen begannen. Was machst du denn da? Laß die Finger von meiner Hose! Faß mich da nicht an! Bitte – oh, nein – oh, oh-ah-oh! Ohhh!
    Der Priesterkönig saß auf einem hohen Thron aus Elfenbein und Onyx und winkte Gilgamesch mit ausladender Geste zu, eben wie ein König zu einem anderen. Gilgamesch nickte fast unmerklich betätigend zurück. Der ganze Pomp und die Zeremonien langweilten ihn gräßlich. Davon hatte er schließlich in seinem früheren Leben reichlich genug abbekommen. Damals hatte er auf dem hohen Thron gesessen, aber dennoch war ihm das einfach alles langweilig gewesen. Und nun…
    Doch dies hier war auch nicht langweiliger als sonst etwas. Gilgamesch war schon lange zu der Überzeugung gelangt, daß dies der wahre Fluch sei, der über der Nachwelt lag: Alles Mühen war hier bedeutungslos, bloßes Wetterleuchten ohne reinigende Gewitter. Es war unmöglich, hier etwas Dauerhaftes zu errichten. Bloße Sandburgen waren das hier, und die Auslöschung kam mit den Gezeiten herangerollt, so sehr einer auch dagegen ankämpfen mochte. Man konnte keine Söhne zeugen, die den Namen des Vaters preisen und die Mauern seiner Stadt stärken würden; die Freunde und Bundesgenossen tauchten auf und verschwanden wieder wie spukhafte Traumgestalten; und du selbst lebtest die halbe Zeit in einem fieberigen Traum, ohne zu wissen, was du wirklich willst. Und das nahm kein Ende. Du konntest jetzt wieder sterben, früher oder später, wenn du unachtsam warst oder Pech hattest, aber trotzdem, früher oder später, warst du wieder da für eine neue Drehung des Rades. Es gab kein Aussteigen aus dem Kontinuum. Er, er hatte einst verzweifelt das ewige Leben gesucht, und er hatte schmerzhaft lernen müssen, daß ihm das nicht gegeben war, zumindest nicht in der Welt der sterblichen Menschen. Doch nun war er tatsächlich an einem Ort gelandet, wo er ewig leben würde, jedenfalls sah es so aus, aber dennoch brachte ihm das keine Freude. Seine derzeitige liebste Wunschvorstellung – ein Traum – war es einfach, seine Zeit hier in der Nachwelt abzudienen und danach vielleicht in Frieden ewig schlafen zu dürfen. Doch er sah bisher noch keine Möglichkeit, dies zu erreichen. Das Leben hier – oder was hier so als Leben galt – ging einfach weiter und immer weiter… ziemlich genau so wie dieses Hofkonzert mit den nicht enden wollenden Strängen von dröhnendem, zirpendem und kreischendem Lärm. Jemand mit dem weichen bartlosen Gesicht eines Eunuchen trat zu ihm heran und bot ihm ein Stück gegrilltes Fleisch an. Nun, da der stechende Schmerz in seiner Wunde mehr und mehr verebbte, verspürte er Hunger, und er aß das Fleischstück, und danach ein zweites und noch eins, und dazu trank er einen ganzen Krug fermentierter Stutenmilch.
    Eine Tanzgruppe erschien, Männer und Weiber in weiten durchsichtigen Gewändern. Sie vollführten Kunststücke mit Schwertern und lodernden Fackeln. Ein anderer Beschnittener brachte Gilgamesch eine Schale mit geheimnisvollen süßen Köstlichkeiten, und er griff mit beiden Händen zu. Er hatte rasenden Appetit. Sein Körper, der zu heilen begann, verlangte energisch nach Energiezufuhr. An seiner Seite schüttete der Mann Howard die Stutenmilch in sich hinein wie Wasser und wurde zusehends betrunkener, und der andere, der Lovecraft hieß, saß kränklich-trübsinnig da, sah den Gauklern zu und rührte nichts an. Es sah aus, als schüttelte es ihn, wie wenn er mitten in einem Schneesturm wäre.
    Gilgamesch winkte ein zweites Gemäß vergorener Stutenmilch heran. Und in diesem Augenblick kam der Arzt an und ließ sich fröhlich auf dem Fellberg neben ihm nieder. Dr. Schweitzer lächelte breit und zustimmend, als Gilgamesch einen kräftigen Schluck trank. »Fühlst du dich jetzt besser? Der Arm, er schmerzt nicht mehr, ja? Die Wunde, sie schließt sich bereits. So rasch heilst du! Was für eine Stärke, was für ein Heilungspotential! Lieber Gilgamesch, du

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