Das Land der lebenden Toten
weißt du – warst du schon mal dort? Wunderschöner Ort, nicht weit von Jerusalem. Aber ich war niemals in Rom, kein einziges Mal. Pompeji, ja, dort war ich, deshalb habe ich Brasil ja nach dem Vorbild von Pompeji gestaltet. Aber Rom, nein. Und Claudius kannte ich auch nicht. Und er hat auch nie zu meinen Ehren eine Statue im Tiberfluß aufstellen lassen und was derlei Legenden sonst noch sind.« Simon schüttelte den Kopf. »Sie sagten mir auch nach, ich hätte in einem römischen Bordell die reinkarnierte Helena von Troja entdeckt und ihr die Rettung ihres Seelenheils versprochen, wenn sie meine Geliebte würde. Völlig aus der Luft gegriffen! Kennst du Helena, Gilgamesch? Bist du ihr jemals begegnet?«
»Nie«, antwortete Gilgamesch.
»Ich schon, einmal vor langer Zeit in Theleme. Und wir lachten herzlich über diese Geschichte, ich würde sie sehr gern eines Tages wiederfinden. Aber ich möchte, daß du verstehst, mein Freund, daß es ein ganz anderer Simon war, der all diese Spielchen mit den falschen Wundern abzog. Lange nach meinem Tod. Ich war nur an Macht interessiert – und deshalb auch an Zauberei und Religion, weil sie Mittel zur Erlangung der Macht darstellen. Der Jesus aber – der war der beste Zauberer von allen. Neben ihm war ich ein Nichts.« Simon lächelte und wies mit ausholender Geste auf die näherrückende Inselstadt hin. »Brasil! Hier ist sie! Und wir wollen uns einige Ruhetage gönnen, die Bäder genießen, ja, König von Uruk? Ein Fest feiern, eine Theatervorstellung, einen Zirkus zu deinen Ehren mit hundert Gladiatoren. Und danach müssen wir uns an die Arbeit machen und über die Expedition reden, die wir unternehmen wollen, um das Königreich zu finden, das rechtmäßig dir gehört.«
Gilgamesch runzelte die Stirn. »Aber mich gelüstet nicht nach…«
Herodes stieß ihn hastig an, er solle still sein.
»Was sagtest du gerade, großer König?« fragte Simon.
Er hatte keine weitere Warnung seitens Herodes nötig. »Ich sagte, wie angenehm es sein wird, deine Bäder zu genießen, Simon. Und das Fest, das Theater, die Gladiatoren.«
»Und danach machen wir uns auf die Suche nach deiner Stadt Uruk, was?«
Gilgamesch antwortete nicht. Beschwingt glitt die Königsjacht an ihren Ankerplatz. Ganze Schwärme von Sklaven und Speichelleckern stürmten jubelnd zu Simons Begrüßung vorwärts.
Die Suche nach Uruk, dachte Gilgamesch. Welches Uruk? Und wo? Uruk war in den Nebelschwaden der Zeit untergegangen. Und es würde nie wieder ein zweites Uruk geben. Er, er wollte nur nach Enkidu suchen; Enkidu, der fortgeschleppt worden war, der vielleicht sogar von den Leuten getötet worden war, die die Karawane van der Heydens überfallen hatten. Er würde Simons Hilfe bei der Suche nach Enkidu annehmen, ja. Aber Uruk? Uruk? Das alles war Irrsinn.
»Unser Zirkus wird dir gefallen«, sagte Herodes an seiner Seite. »Wir werden zu deinen Ehren die hundert stärksten Gladiatoren von Brasil in ihr künftiges Leben schicken.«
Gilgamesch warf ihm einen grimmigen Blick zu. »Das bedeutet mir nicht viel. Weshalb sollten hundert Männer für meinen Spaß sterben? Ihr Römer mit euren blutigen Spielen…«
»Bitte«, sagte Herodes. »Du nennst mich dauernd einen Römer, aber ich ziehe es vor, mich als Juden zu betrachten, weißt du. Obwohl, technisch gesehen könnte man mich als Römer bezeichnen – Julius Caesar machte meinen Urgroßvater Antipater zum römischen Bürger –, aber wir Juden können schließlich unsere Herkunft viel weiter in die Vergangenheit zurückverfolgen als die Römer, und…«
»Hörst du eigentlich niemals auf zu plaudern? Nicht einmal für eine Minute?« brach es aus Gilgamesch hervor.
»Habe ich dich erzürnt, großer König?«
»Dieses Geschnatter über Juden und Römer. Wen kümmert schon ein Dämonenfurz, wer du bist und wieviele Ahnen du hast? Ich war König zu einer Zeit, da euer Land nichts war als ein Sumpf!«
Herodes lächelte. »Ach, Gilgamesch, Gilgamesch, vergib mir! Natürlich ist dein Land viel älter als Rom, sogar als Judäa. Aber andererseits sind hier Leute, für die sogar das grandiose ruhmreiche Sumerische Reich nichts weiter ist als eine Episode ziemlich jungen Datums.« Er blickte verstohlen zu dem Haarmenschen. »Angesichts der Ewigkeit, Gilgamesch, befinden sich die meisten von uns erst seit ein, zwei Stunden in der Nachwelt. Im Vergleich zu dem da, meine ich. Doch vergib mir. Vergib mir. Ich rede wirklich zu viel. Dennoch beschwöre ich dich,
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