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Das Land der lebenden Toten

Das Land der lebenden Toten

Titel: Das Land der lebenden Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Ziegelbauten mit flachem Dach, an enge Straßen, an einen hohen Tempel über einem Fundament aus weißgetünchten Ziegeln.
    Dieses Brasil da wies schlanke Türme auf, die mit Schmuckbändern aus kostbaren Steinen verziert waren, Mauerkronen in unglaublichen Schrägungen, Straßen, die in verwirrenden scharfen Windungen in die Hänge des lavabedeckten Berges, der die Insel überragte, gebaut waren. Wirklich ein befremdlicher Ort, zweifellos im Laufe der Zeiten beträchtlichen Veränderungen unterworfen gegenüber dem alten Städtchen aus römischen Tagen, nach dem das ursprünglich erbaut worden war. Aber nichts in der Nachwelt blieb ja lange, wie es vorher war. Nicht einmal die Berge und die Flüsse.
    Der Magier Simon sagte: »Unser Premierminister, der Jude Herodes.«
    »Wir sind uns bereits begegnet«, sagte Gilgamesch.
    Also war Herodes, dieser Biedermann, der behauptete, an Macht nicht interessiert zu sein, trotz allem Premierminister in Brasil? Nun, vielleicht war das ja seine Art – wie hatte er das ausgedrückt? –, sich um seinen persönlichen Kram zu kümmern. Sollen andere König spielen, und dennoch war es ihm gelungen, sich unter diesen Römern bis in eine ziemlich hohe Position hinaufzuarbeiten. Gilgamesch fühlte sich an diesen Mongolenfürsten erinnert, an Kublai Khan, dem er auf seinen Streifzügen durch die Reiche im Outback begegnet war. Von dem ging die Sage, daß dieser Khan in seinem Erdenleben einer der grandiosesten Herrscher gewesen war, aber hier behauptete er, keinerlei Machtambitionen zu haben, und gab an, völlig damit zufrieden zu sein, als Kriegsminister für die Himmlische Volksrepublik dieses Mao Tse-tung seines Amtes zu walten. Zweifellos war das ein leichterer Job als der eines Kaisers – aber dennoch war es eine Position in der Machtspitze.
    Anscheinend bestimmte also das Leben auf der Erde auch den Lebensmodus hier. Ja, vielleicht. Berge und Flüsse mochten sich hier beständig verändern und umformen, doch die Seelen der Menschen, so schien es, veränderten sich nie grundsätzlich. Man betrachte sich nur alle diese Römer und Karthager, die da draußen irgendwo immer wieder und wieder ihre grotesken Punischen Kriege ausfochten. Oder dieser kleine Mann Lenin, wie er fieberhaft Umstürze und Gegenumstürze plante in seiner unablässigen, fruchtlosen Auflehnung gegen jeden, der gerade von sich behauptete, Regierungschef in Nova Roma zu sein. Und alle diese Könige und Kaiser, die versuchten, hier in der Anderen Welt ihre alten Reiche wieder zu etablieren: Caesar und Mao und Elizabeth und der Priester Johannes und all die übrigen. Und sogar jene, die von sich behaupteten, ihr Machtstreben abgelegt zu haben, hatten die Tendenz, immer irgendwie unter denen aufzutauchen, die die Befehle erteilten, und nicht unter jenen, die Befehlen gehorchen mußten.
    Nein, dachte Gilgamesch, auch in der Nachwelt ändert niemand sich wirklich von Grund auf. Außer mir. Außer mir. Ich war der König über das gesamte Land, und ich gefiel mir in meiner Pracht und Herrschaft und brachte alle Männer dazu, sich vor mir zu neigen. Ich eroberte Städte. Ich baute Tempel. Ich baute Mauern und Kanäle. Aber hier habe ich seit etlichen Jahrtausenden nichts getan, als umherzuziehen, zu jagen und zu wandern, und das war mir genug. Und ob man es mir nun glaubt oder nicht – es war mir genug.
    »Und dies«, sagte Simon nun, »ist mein Großmagier und Oberweiser, dessen Namen ich dir natürlich nicht preisgeben kann.«
    Er wies auf den Haarigen Mann.
    »Frieden und Freude dir, König von Uruk«, sagte der Haarige. Zumindest verstand ihn Gilgamesch so. Es war ihm noch nie leichtgefallen, die Redeweise dieser seltsamen Leute zu verstehen. Hier sprachen sie, wie nahezu jedermann, eine Art Englisch; früher war es Lateinisch gewesen, als dies die Hauptsprache der Nachwelt war; doch welche Sprache sie auch benutzten, es klang tief, rauh, pelzig und nahezu unverständlich, wie durch einen dicken Ballen von Ochsenhäuten und als lägen die Zungen irgendwie falsch im Mund. Möglicherweise klang ja auch ihre ureigene Sprache so.
    Für Gilgamesch waren die Haarmänner ein Rätsel. Sie trugen keinen Namen, oder doch jedenfalls keinen Namen, den sie irgend jemandem, außer ihresgleichen, preisgeben wollten. Und sie verehrten auch namenlose Götter. Sie sahen beinahe aus wie Tiere, bewachsen wie sie waren von dichten, rauhen, pelzigen Zottelhaaren, einem braunen, oder häufiger rötlichen Fell. Enkidu war berühmt unter den

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