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Das Land der lebenden Toten

Das Land der lebenden Toten

Titel: Das Land der lebenden Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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die Wettkämpfe in unserem Stadium zu besuchen. Und ich heiße dich hiermit in Brasil, meiner Wahlheimat willkommen, König Gilgamesch. Als Römer und als Jude heiße ich dich hier herzlich willkommen.«

8
    I N S IMONS Palast, einem gewaltigen Gebäudekomplex, der um einen Hof herum angelegt war und inmitten eines riesigen ummauerten Gartens lag. In seinen Gemächern gab es ein Römisches Bad, ein gewaltiges Rundbett, das irgendwie in der Luft zu schweben schien, und er hatte seine persönliche Entourage, Diener, Butler. Kurtisanen und Läufer, die alle auf jeden seiner Winke bereitstanden. Doch eben jetzt hatte er eigentlich kaum sehr große Bedürfnisse, denn seit mehr Jahren, als er noch im Gedächtnis behalten hatte, hatte er sich eine umfassende Kargheit und Nüchternheit zur Regel gemacht. Dennoch, es war wohl ganz angenehm zu wissen, daß ihm derlei Annehmlichkeiten zur Verfügung standen.
    Herodes stellte sich bei ihm ein, als am frühen Abend die trübe rötliche Sonne die Gärten in tiefviolette Schatten zu tauchen begann. Herodes hockte sich bequem in eine Fensterbank. Er sagte: »Erzähl mir doch ein wenig von deinem Uruk.«
    »Was kann ich davon schon erzählen? Es war vor langer Zeit eine Stadt, in der ich geboren wurde, in der ich lebte und König war – und in der ich starb. Der Fluß Buranunu floß an ihr vorbei. Enlil war der Stadtgott und Inanna die Göttin der Stadt und…«
    »Nein. Ich rede von dem neuen Uruk, dem hier in der Nachwelt.«
    »Ich weiß nichts von einer solchen Stadt«, sagte Gilgamesch.
    Herodes sah ihn eindringlich an. »Aber Simon glaubt, du weißt etwas.«
    »Wirklich? Das Wenige, was ich über das neue Uruk weiß, habe ich von Simon erfahren.«
    »Ach so. Ich beginne zu begreifen.«
    »Zum erstenmal hörte ich etwas davon«, fuhr Gilgamesch fort, »als ich Simon drüben in der Bucht der Hammenden Berge traf. Es gibt in der Nachwelt eine Stadt namens Uruk, sagte er zu mir. Und er sagte, dieses Uruk ist der Stadt aus meinen Lebenstagen ziemlich ähnlich, und es leben dort Menschen meines Volkes. Es ist eine Stadt, sagte er, voll sagenhaften Reichtums und Wohlstand.«
    »Aha. Jetzt beginnt sich das wahre Bild abzuzeichnen«, sagte Herodes.
    »Er fragte, ob ich mich an einer Expedition nach diesem Uruk beteiligen möchte. Seine Soldaten langweilen sich und brauchen Abenteuer, sagte er.«
    »Ja, und er sehnt sich nach Schätzen.«
    »Den Schätzen dieses Uruk?«
    »Irgendwelchen Schätzen«, sagte Herodes. »Hast du – dir nicht die Mauern und Türme dieser Stadt angesehen? Er hat alles mit Smaragden, Rubinen, Saphiren und Diamanten vollgepflastert. Mit Edelsteinen, deren Namen niemand kennt, weil man sie auf der Erde nie sah, da sie nur hier in der Nachwelt gefunden werden. Seine Gier nach auffallenden Klunkern ist unersättlich. Fünf Alchimisten sind den ganzen Tag hindurch damit beschäftigt, neue Steine für ihn herzuzaubern, und die ganze Nacht dazu, aber natürlich halten ihre Steine nicht lange. Er giert nach dem echten Zeug. Und wenn dieses Uruk große Schätze hat, dann lechzt Simon nach ihnen.«
    »Ich hätte ihn für weiser gehalten.«
    »Oh, er besitzt große Weisheit. Doch hier ist die Nachwelt, Gilgamesch, und hier verleitet der Zerfall der Zeit auch kluge Männer zur Torheit. Und er liebt nun einmal funkelnde Steine.«
    »In Uruk gab es überhaupt keine Steine«, sagte Gilgamesch betont. »Wir errichteten unsere Stadt aus Lehmziegeln. Wir hatten weder Smaragde noch Rubine.«
    »Ja, aber das war dein Uruk. Simon dagegen will das Nachwelt-Uruk finden. Und er glaubt, du kennst den Weg dorthin.«
    »Ich sagte ihm aber, ich weiß ihn nicht.«
    »Er glaubt, du lügst«, sagte Herodes freundlich.
    »Dann ist er ein noch größerer Narr. Ich bin zweimal so lange wie dein Simon hier in der Nachwelt, oder noch länger. Kommt ihm denn nicht der Gedanke, daß ich in dieser ganzen Zeit etwas davon gehört haben müßte, wenn meine Landsleute sich hier ein neues Uruk erbaut hätten?«
    Herodes schaukelte auf der Fensterbank langsam vor und zurück und lächelte in sich hinein. »Ihr zwei habt euch gegenseitig ganz schön verarscht, nicht?«
    »Was?«
    »Der hehre Held Gilgamesch und das schlaue Schlitzohr Simon haben sich gegenseitig bis zum Hintern ausgetrickst. Er glaubt, du kannst Uruk für ihn finden. Du glaubst, er findet es für dich. Und ihr glaubt alle beide, daß der andere das Geheimnis weiß, wo Uruk liegt. Aber in Wahrheit hat keiner von euch eine Ahnung, wo der

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