Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Land der lebenden Toten

Das Land der lebenden Toten

Titel: Das Land der lebenden Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
Vom Netzwerk:
kraushaarigen Matrosen aus dem Königreich – Punt gesehen, die aus einem Land kamen, in dem die Luft war wie Feuer, so daß die Haut der dort Lebenden verbrannte. Und aus dem weit entfernten Meluhha kamen andere schwarzhäutige Leute, mit schmalen Nasen und Lippen und langem glatten Haar, so dunkel, daß es beinahe blau war. Und hier in der Nachwelt selbst war er vielen begegnet, die auf die eine oder andere Art schwarz waren und aus Ländern kamen, deren Namen ihm nichts sagten – Nigeria, Äthiopien, Nubien, Mali, Quiloa, Indien, Socotra, Sansibar und viele andere Namen mehr. Vielleicht gab es ja in jedem Teil der früheren Welt schwarzhäutige Menschen und gelbe und rote und braune und – was wußte denn er, Gilgamesch, schon – vielleicht solche mit blauer oder grüner Haut oder mit gescheckter. Aber in beiden Welten hatte er noch nie einen wie Calandola gesehen.
    Seine Haut hatte die Schwärze der Leute aus Punt, doch seine Nase war gerade, die Lippen schmal und scharf geschnitten, ähnlich wie die Gesichtszüge der Männer aus Meluhha und Indien, obwohl diese Leute klein waren, dieser Galandola hingegen war gewaltig, ein Riese, der beinahe an Gilgameschs Größe heranreichte. Seine Haare waren dicht, lang und gelockt, und Meeresmuscheln waren dareingeflochten, und um den Hals trug er einen Kragen aus großen Muscheln einer anderen Art, die wie gezwirbelte Türmchen hervorragten. In der Nase trug er eine blitzende Kupfernadel, so lang wie der kleine Finger eines Mannes, und zwei andere ähnliche Kupferstücke baumelten von seinen Ohren. Um die Lenden geschlungen war ein grell-scharlachnes Tuch, sonst war sein wuchtiger Körper nackt. Seine Flanken waren von roten und weißen Malereien bedeckt, und wo er nicht bemalt war, war die Haut zerschnitten und gekerbt oder sonstwie zu verblüffenden vortretenden Wülsten und Narben verzerrt, zu monströsen Schmuckverzierungen in der Gestalt von Blüten und Knoten und Linien. Auch war die Haut stark geölt und spiegelte den Schein der Fackeln wider.
    Und diese Augen!
    Ihr Götter! Enlil und Enki und Inanna – was waren das für Augen!
    Schwarz waren sie und glänzend und tief. Unergründliche schwarze Teiche, umgeben von strahlendem Weiß. Gilgamesch erkannte es sofort, es waren die Augen eines wahren Königs. Es waren Augen, die ergreifen und bannen, die peitschen und niederschmettern konnten. Augen, die verzaubern konnten, wenn nötig, oder töten.
    Wer war dieser Mann? Wo hatte er geherrscht, als er lebte? Weshalb hauste er jetzt in dieser Höhle in den Abgründen der Nachwelt unterhalb der Insel Brasil?
    Galandola erhob sich. Trat ein paar Stufen vom Thron herab und ein paar Schritte auf Gilgamesch zu. Ein merkwürdiger dunkler Geruch umgab ihn, ein säuerlicher Gestank, von dem Gilgamesch vermutete, daß er von dem Öl ausgehe, das den Körper so glänzen ließ. Er bewegte sich mit höchster Bestimmtheit, gelassen, gemessen, sicher. Nun wurde sichtbar, daß Calandola um eine halbe Haupteslänge kleiner war als Gilgamesch. Aber nur sehr wenige Männer waren so groß wie Gilgamesch. Den Eindruck massiver Größe verdankte er dem mächtigen Nacken, den enorm breiten Schultern und der Wucht seiner Oberarme, die so wuchtig waren wie Schenkel.
    Er nickte dem Haarmenschen schnaubend zu und bedachte den unterwürfig zitternden Herodes mit einem Achselzucken. Und zu Gilgamesch sprach er mit einer gewaltigen dunklen Stimme, die wie aus einem noch weiter hinten liegenden Höhlengang zu dringen schien: »Weshalb bist du zu mir gekommen?«
    »Ich habe Fragen, und sie sagten mir, du wissest Antwort.«
    »Ich weiß, wo man die Antwort finden kann, ja. Gib mir deine Hand.«
    Er streckte eine nach oben geöffnete Hand aus. Die Handfläche war rosa in der Innenseite und so groß, daß er damit leicht den Schädel eines Menschen hätte packen und wie einen Klumpen Lehm zerdrücken können. Nach kurzem Zögern legte Gilgamesch seine Hand flach auf die von Calandola und wartete. Dann schlossen sich die beiden äußeren mächtigen schwarzen Finger um Gilgameschs Hand und bohrten sich tief ein, und noch tiefer, bis Gilgamesch ein leichtes Schmerzgefühl verspürte und seine Handknochen sich gegeneinander zu bewegen begannen. Ein Härtetest? Nun gut. Es war zwar kindisch, aber er würde mitspielen. Er hielt dem schrecklichen Druck der zwei Finger stand, als streichelten ihn Federn, und als der Schmerz zu heftig wurde, verscheuchte er ihn wie eine lästige Fliege.
    Auf der schimmernden

Weitere Kostenlose Bücher