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Das Land der lebenden Toten

Das Land der lebenden Toten

Titel: Das Land der lebenden Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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obwohl Gilgamesch Calandolas Inneres sah, war da nur eine riesige schwarze Felswand, die vor ihm aufragte, undurchdringlich, unbezwingbar.
    »Nun sollst du teilhaben an unserem Fest«, sagte Calandola. »Und die Erkenntnis wird auf dich niederfahren, König Gilgamesch.«
    Er warf den Kopf in den Nacken, lachte und ließ seine mächtigen Arme niedersausen wie zwei dicke Keulen. Die Musikanten vollführten ein schmetterndes Getöse mit Donner und schrillem Kreischen. Der Thron ward zur Seite gerückt, und da stand ein gewaltiger metallener Kessel, in dem etwas über einem Feuer aus Scheiten brodelte.
    Die Jünger Calandolas bereiteten offenbar eine dicke kräftige Suppe.
    Zwiebeln kamen in den Kessel und Lauch und Pfefferschoten, Bohnen und Gurkenkürbisse, Granatäpfel und alle anderen erdenklichen Gemüse und Früchte. Das dampfende Gefäß schien bodenlos zu sein. Maiskolben, Säcke voll Feigen, dicke knollenartige Wurzeln verschiedener Art, und das meiste darunter Gilgamesch unbekannt. Händevoll Knoblauch und noch größere Mengen Rettich, ganze Ingwerstücke. Ein Faß voll eines dunklen Weins, über dessen Herkunft Gilgamesch lieber nicht nachdenken wollte. Fünfzigerlei Gewürze. Und Fleisch. Gewaltige Stücke bleiches rohes Fleisch, das mitsamt der Knochen ganz in den Kessel geworfen wurde.
    Eine leichte Beunruhigung regte sich in Gilgamesch Er sagte zu Herodes: »Was ist das für Fleisch, was denkst du?«
    Herodes starrte fest auf den Kessel, ohne zu blinzeln. Er lachte auf seine merkwürdig schartige Art. »Eines, das nicht koscher ist möchte ich wetten.«
    »Nicht koscher? Was heißt das?«
    Doch Herodes gab keine Antwort. Ein Schauder überlief ihn und ließ ihn am ganzen Leib zittern wie ein vom Herbststurm gepeitschtes Bäumchen. Sein Gesicht glühte wie damals, als er ihn bei dem Vulkanausbruch gesehen hatte. Er sah aus wie einer, den ein starker Zauber gebannt hält.
    Dank des gemeinsam getrunkenen Weines sah Gilgamesch in die Seele Herodes’. Und was er sah, ließ ihn erstaunt und entsetzt zurückfahren.
    »Solches Fleisch?«
    »Es heißt, es gibt kein besseres für diesen Zweck, König Gilgamesch.«
    Sein Magen krampfte sich zusammen, und er würgte.
    Er hatte in vielen fremden Landen viele seltsame Sachen gegessen. Aber niemals dies. Das Fleisch der eigenen Artgenossen zu verzehren?
    Nein. Nein. Nicht einmal hier in der Nachwelt!
    Hie und da hatte er Geschichten gehört über bestimmte Rassen in fernen Weltgegenden, die so etwas taten. Nicht aus Hunger, sondern aus religiös-magischen Gründen. Um die Kraft, das Wissen oder die geheimnisvollen Tugenden anderer in sich aufzunehmen. Er hatte das nur schwer glauben können, daß Menschen so etwas taten.
    Doch aufgefordert zu werden, das auch noch selbst zu tun…?
    »Unvorstellbar. Abscheulich! Verboten!«
    »Verboten von wem?« wisperte Herodes.
    »Also… von…« Er konnte nicht weitersprechen.
    »Wir leben in der Nachwelt, König Gilgamesch. Hier ist nichts verboten. Hast du das vergessen?«
    Gilgamesch sah ihn starr an. »Und du hast allen Ernstes vor, diese Scheußlichkeit mitzumachen? Du willst, daß ich es gemeinsam mit dir tue?«
    »Ich will gar nichts von dir«, erwiderte Herodes. »Aber du bist hergekommen, weil du Wissen suchst.«
    »Und das bekommt man dadurch?«
    Herodes lächelte. »So heißt es. Es ist das Tor, der Zugang zur Großen Offenbarung, die zur Erkenntnis führt.«
    »Und du glaubst diesen wahnsinnigen Quatsch?«
    Der judäische Fürst wandte sich zu ihm und sah ihn mit einem erschreckend glaubensfiebrigen Blick an.
    »Tu, wie es dir beliebt, König Gilgamesch. Doch wenn du Erkenntnis willst, dann nimm und iß davon. Nimm und iß!«
    »Nimm und iß!« dröhnte Calandolas Stimme. »Nehmt euch und esset!«
    Die Kannibalen hüpften und tanzten. Eine Frau, vom Schädel bis zu den Zehen mit weißem Kalk bemalt, trug einen Rock aus Stroh, anscheinend eine Art Kostüm für Hexer. Sie eilte zum Zauberkessel, zog ein Stück Fleisch mit bloßen Händen aus der brodelnden Brühe und hielt es in die Höhe.
    »Ayayya! Ayayya!« brüllten die Jaqqa. »Ayayya!«
    Die Strohhexe trug das Fleisch zu Calandola und hielt, es ihm zur Begutachtung hin. Er grunzte zustimmend, packte das Fleisch mit beiden Händen und grub die Zähne hinein.
    »Ayayya! Ayayya!« brüllten die Jaqqa.
    Gilgamesch merkte, wie der Wein der Wilden von seiner Seele Besitz ergriff. Er schaukelte im Rhythmus der gellenden mißtönenden Musik. Herodes neben ihm schien

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