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Das Land der lebenden Toten

Das Land der lebenden Toten

Titel: Das Land der lebenden Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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nächtlichen Zeremonie der Heiligen Hochzeit vor den Priestern Uruks kniete:
     
    Was gut dir selbst erscheint
    Verbrechen ist es vor dem Gott.
    Was deinem Herzen böse scheint
    Gut ist es vor deinem Gott.
    Wer könnte begreifen, was die Götter sinnen
    In den Tiefen ihres Himmels?
     
    »Nimm es schon«, keuchte Herodes. »Iß!«
    Ja, dachte Gilgamesch. Das ist der Weg. Er hob den Fleischbrocken an die Lippen. »Ayayya! Ayayya! Ayayya!«
    Er biß kräftig hinein, schmeckte und schluckte, und von dem nahen Vulkan erklang ein schreckliches Getöse, und die Erde erbebte, und als er das verbotene Fleisch kostete, drang im gleichen Augenblick die Erkenntnis in ihn.
    Es war, als werde er zum Gott. Alle Dinge lagen offen vor ihm da, oder so kam es ihm jedenfalls vor. Nichts war mehr verborgen. Seine Seele wurde emporgetragen, und er blickte hinab auf allen Raum und alle Zeit.
    »Deine Freunde, Gilgamesch«, flüsterte eine Stimme von hoch oben. »Vergiß nicht – deine Freunde!«
    Nein, er wollte sie nicht vergessen.
    Er schickte seine Seele hinüber in den Hund, der das Wespenweib war, das einst eine Sünderin und ein Mensch gewesen war. Ohne Schwierigkeit unterschied er die menschliche Seele von der des Hundes und des Insekts und trennte sie von ihnen, hielt sie einen Augenblick lang fest und entließ sie dann wie einen Vogel, den man von der Hand in den Himmel fliegen läßt. Es kam ein langes dankbares Seufzen, dann war die verirrte Seele verschwunden, und Ajax lag zusammengerollt zu Gilgameschs Füßen und schlief, und von dem Wespenwesen war nichts mehr zu sehen.
    Sodann wandte er sich Herodes zu. Schaute die Traurigkeit in ihm, die Schwäche, das Verlangen. Sah auch den raschen beweglichen Geist, die Wärme, die sich danach sehnte, anderen angenehm zu sein. Und er berührte Herodes tief innerlich, nur einen Augenblick lang, und ließ etwas von sich über die kleine Entfernung von Seele zu Seele hinüberfließen. Einen Hauch von Stärke; einen Hauch von Unverwüstlichkeit. Hier, dachte er, nimm das von mir; und behalte etwas von mir in dir, für die Zeiten, wenn es dir nicht genügt, du selbst zu sein.
    Herodes schien zu glühen. Er lächelte, er weinte, er neigte den Kopf. Und er fiel auf die Knie und sprach ein Dankgebet.
    Gilgamesch fühlte die Gegenwart Calandolas, der furchtbar auf ihn eindrang wie ein Titan. Wie ein Gott. Aber dennoch nicht länger bösartig. Kühl, leidenschaftslos, erhaben, diente er nun nur noch als Brennpunkt für das fremdartige Ritual der Seelenverschmelzung.
    »Suche du nun nach dem, was du wissen willst, Gilgamesch«, sagte der Jaqqa. »Die Zeit ist gekommen.«
    Ja. Ja. Die Zeit ist da. Also – Enkidu?
    Wo?
    Ah, da. Da war er, in der engen hochwandigen Schlucht, unter den Karawanenleuten, die gestohlene Juwelen transportierten. Da war der umgestürzte Wagen, und jetzt stand er wieder. Van der Heyden fuchtelte Befehle gebend herum. Und dann – dann verdunkelten plötzlich zwei von diesen knatternden wirbelnden Flugmaschinen der Später Toten, Helikopter, Schraubflieger, hießen sie, den Himmel, stiegen aus dem Nichts herab und fügten sich mit gespenstischer Genauigkeit zwischen die Wände der Schlucht. Die Leute im Treck brüllten, rannten, um Waffen zu holen. Die Flugmaschinen schwebten in doppelter Mannshöhe über dem Boden – aus den Seiten ragten Waffenläufe – das brutale Knallen von Geschoßsalven aus Maschinengewehren – rennende, schreiende, zu Boden stürzende Menschen…
    Geduckt hinter einem der Wagen, Enkidu, der irgendwoher eine Automatikwaffe mit beiden Händen hielt und zurückfeuerte.
    Eine Gestalt, die sich aus dem näheren Schmetterflieger beugte, warf etwas hinunter – es war eine Splitterbombe – schwarzer Qualm, Schreie, überall lagen scheußlich verstümmelte Menschen.
    Und Enkidu schoß immer noch weiter…
    »Nein!« brüllte Gilgamesch. »Enkidu! Nicht!«
    Aber es war, als schrie er in einem Traum. Er war machtlos. Er war kein Gott; und er wußte, daß seine Vision bereits heillos und unrettbar in der Vergangenheit verkapselt war. Enkidu stürzte wie rasend auf den näheren Flugkörper zu, als wollte er ihn mit den Händen in Stücke brechen – einer der Später Toten, ein Mann mit kurzgeschorenen blonden Haaren und kalten blauen Augen, sah verblüfft heraus, griff nach hinten, brachte eine Granate zum Vorschein und entschärfte sie und warf sie – ein plötzlicher greller Feuerschein wie von einer kleinen Sonne – Enkidu mitten darin, kurz

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