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Das Land der lebenden Toten

Das Land der lebenden Toten

Titel: Das Land der lebenden Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Abfall. Schales, nutzloses Zeug, Imitationen seiner selbst, ja sogar Selbstparodien. Worin lag ein Sinn, wenn er die Harlekine und Gaukler noch einmal malte, oder die drei Musikanten? Das hatte er doch alles bereits geschaffen. Sich selbst wiederholen zu müssen, das war schlimmer als der Tod. Das Mädchen vor dem Spiegel? Die kubistischen Sachen? Die Demoiselles? Auch wenn sein jetziges neues Leben ewig währen sollte, was für eine Verschwendung, es damit hinzubringen, daß er sich mit Problemen herumschlug, die er längst gelöst hatte! Aber anscheinend konnte er nicht anders. Es war ihm fast, als liege ein Fluch auf ihm.
    Aber dieses neue Modell – diese mesopotamische Göttin mit den funkelnden Augen – vielleicht würde sie ihn inspirieren und das Bild würde diesmal endlich gelingen.
    Der Ansatz war kühn gewesen. Vertrau deinen Augen, vertrau deiner Hand, vertrau auf deine cojones, und male einfach, was du siehst. Schön. Sie posierte wie ein Berufsmodell, stolz und aufrecht, ohne die geringste Verlegenheit. Eine schöne Frau, etwa vierzig, in voller Reife. Er arbeitete mit der vollen früheren Sicherheit, er dachte, daß er vielleicht diesmal die Sache im Griff behalten würde, daß er vielleicht diesmal etwas wirklich Neues schaffen könnte, anstatt sich zu wiederholen. Ihre mythische Großartigkeit einfangen, diese urzeithafte weibliche Göttlichkeit dieser Frau aus Sumer oder Babylon, oder woher sie stammen mochte.
    Doch das Bild veränderte sich ihm unter der Hand wie dies immer der Fall war. Als hätte ein Dämon sich des Pinsels bemächtigt. Er mühte sich zu malen, was er sah, und es wurde wieder nur kubistisch, lauter Flächen und Kanten, dieses sinnwidrige Zeug, das zu malen er schon fünfzig Jahre vor seinem Tod aufgegeben hatte. Mierda! Carajo! Me cago en la mar! Er biß die Zähne zusammen und brachte das Bild wieder in den Zustand, den er haben wollte, doch nein, nein, es wurde ganz sanft und glatt und rötlichblau, Zeug aus seiner Rosa Periode, und wenn er es wütend übermalte, bekam das Bild wieder die scharfen Konturen seiner ›Demoiselles d’Avignon‹.
    Abgestanden, schal und alt. Alt und schal geworden. Alt, alt, alt.
    »Me cago en Dios!« sagte er laut.
    »Wie bitte?« fragte die Frau. Die Stimme klang dunkel, rätselhaft und fremdartig. »Was bedeuten diese Worte?«
    »Es ist Spanisch«, antwortete er. »Wenn ich fluche, fluche ich immer spanisch.« Jetzt sprach er englisch. Fast alle redeten sie so hier, sogar er, der in seinem anderen Leben diese Sprache so merkwürdig haßerfüllt verabscheut hatte. Aber man hatte nur die Wahl zwischen Englisch und Altlatein – und das fand er noch scheußlicher. Es erstaunte ihn, daß er jetzt tatsächlich englisch redete. Aber hier mußte man eben viele Konzessionen machen. Mit seinen Freunden sprach er noch immer französisch und mit seinen ältesten Freunden unterhielt er sich in Spanisch oder manchmal katalanisch. Mit Fremden war es dieses Englisch. Aber wenn er fluchte, dann immer spanisch. Immer.
    »Du bist erzürnt?« fragte sie. »Auf mich?«
    »Nein, nicht auf dich. Ich bin wütend auf mich selbst. Auf diese Pinsel. Auf den Teufel. Was für eine Hölle, diese Nachwelt!«
    »Du bist drollig«, sagte sie.
    »Drollig? Ja, stimmt. Genau das bin ich. Drollig.« Er legte einen Finger auf die Lippen. »Laß mich weiterarbeiten. Ich glaube, ich hab’s jetzt.«
    Das tat er dann auch wirklich für ein paar kurze Momente. Tief in die Leinwand hineingebeugt, konzentrierte er sich ganz auf seine Arbeit. Er verzog die Stirn, kaute an seiner Zigarette, kratzte sich am Schädel und malte mit raschen, sicheren Strichen. Die wunderbare Weibsgöttin wuchs ihm aus der Leinwand entgegen. In ihren Augen glühte ein seltsames uraltes Wissen. Doch er war machtlos. Das Bild kippte, es ging wieder schief, es machte sich immer wieder selbständig und entzog sich ihm: Knochen und Zähne zeigten sich, wo er Stoff und Fleisch haben wollte, und wenn er damit kämpfte, rutschte es in Neoklassizismus ab, mit schrillen Farben der Spätperiode und wieder Anflügen von Kubismus, die sich in der linken unteren Hälfte vorzudrängen versuchten. Es war ein unsäglicher Mischmasch, das war es, sämtliche seiner alten Stilrichtungen auf einmal. Dem Bild fehlte jegliches Leben. Ein Anfänger der Kunstakademie hätte so etwas malen können, wenn er genug getrunken hatte. Vielleicht brauchte er einfach ein neues Atelier. Oder Ferien, irgendwo. Aber, überlegte er, dies geht ja

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