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Das Land der lebenden Toten

Das Land der lebenden Toten

Titel: Das Land der lebenden Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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schmecken sie dir?«
    »Man sagt mir nach, daß ich die feinste Tafel dieser ganzen Nachweltregion führe.«
    »Die feinste, zweifellos. Aber genießt du, schmeckt es dir, was du ißt? Oder ist nicht das Feinste nur eine winzige Spanne von vulgärer Gemeinheit entfernt, Simon?«
    »Jupiter und Isis, Mann! Sei doch kein Esel! Das hier ist das Leben nach dem Leben! Wir sind allesamt tot, Gilgamesch. Wer erwartet denn da schon, daß das Essen besonders gut schmeckt!«
    »Tot? Aber das ist doch nur ein Wort. Wir sind gestorben; und aus irgendwelchen, nur den Göttern plausiblen Gründen leben wir erneut. Wir atmen, wir haben Hunger, wir fühlen Schmerz, wir empfinden Hitze oder Kälte, Nässe und trockene Geborgenheit. Das hier ist kein gespenstisches Schattendasein, in dem wir stecken. Es ist von anderer Art als unser vorheriges Leben, doch es ist ein ganz eigenes Leben. Und kein sehr angenehmes.«
    »Vielleicht nicht für dich, Gilgamesch. Sicher, es gibt da gewisse Nachteile und nicht gerade ideale Besonderheiten. Aber dennoch, ich nutze meine Möglichkeiten, so gut es geht. Wie das jeder leidlich intelligente Mensch tun würde.«
    »Richtig«, erwiderte Gilgamesch beißend. »Wie du so hartnäckig betonst, besitzt du ja einen freien Willen. Verwässert nur durch ein paar belanglose Unannehmlichkeiten.«
    »Die Nachteile dieses Ortes hier haben mit dem Problem der freien Willensentscheidung keinen Dämonenfurz zu tun; im übrigen ist es eine törichte Streitfrage, ein Haufen pfeifende Luft, ausgedacht von Später Toten, die nichts zu tun hatten. Wieso sind manche Männer hier Könige und andere Sklaven, außer deshalb, weil wir uns unser Schicksal selbst schmieden?«
    »Wir haben darüber bereits debattiert, glaube ich«, sagte Gilgamesch achselzuckend. Er wendete sich ab und blickte starr ins Land hinaus.
    Zu beiden Seiten ragten üble zerklüftete Kliffs auf wie schartige Zähne. Die Luft hatte die Färbung von Dung angenommen. Der Boden zitterte wie eine über einen windigen Abgrund gespannte Decke. Ab und zu platzten gasartige schwarze Blasen auf. Alles schien zitternd in gespannter Bewegung. Ein blutfarbener Regen hatte eingesetzt, doch wie es hier oft geschah, kein Tropfen erreichte den ausgedörrten Boden. Magere hundeähnliche Tiere, die ganz aus Mäulern und Reißzähnen und Augen zu bestehen schienen, rannten neben der Straße her und sprangen hoch und jaulten und kläfften. In weiter Ferne erblickte Gilgamesch einen dunklen See, der auf die Seite gekippt zu sein schien. Die Straße vor ihnen verlief in irren Windungen zugleich nach rechts und links, ohne sich zu gabeln, und nun sah es so aus, als krümmte sie sich in den Himmel hinauf. Eine Teufelsstraße, dachte Gilgamesch, angelegt, um die zu quälen, die sie befahren. Ein Land der Dämonen.
    »Die Karte des Karthagers…« sagte Simon.
    »War der reine Schwindel und Betrug«, warf Gilgamesch ein. »Sie wurde unter deinen Händen ganz leer, nicht wahr? Damit solltest du nur reingelegt werden. Vergiß die Karte, Simon. Wir sind, wo wir sind.«
    »Und wo ist das?«
    Gilgamesch breitete die Hände aus, beugte sich vor und versuchte mit zusammengekniffenen Augen eine Orientierung zu finden.
    Doch da draußen war alles nur verwirrend und widerwärtig. Und er begriff, es war töricht, wenn er versuchte, es zu begreifen.
    In der Nachwelt durfte man niemals hoffen, Entfernungen oder räumliche Bezüge zu verstehen, oder den Ablauf der Zeit, die Ausmaße von Dingen – oder sonst etwas. Wenn einer weise war, nahm er alles so hin, wie es kam, und stellte keine Fragen. Das, dachte er, war das Grundprinzip in der Nachwelt, die alles andere hier bestimmende Haupteigenschaft der Nachwelt. Man nimmt es, wie es kommt. Und was immer Simon Magus behauptete: Keiner war hier der Schmied seines eigenen Geschicks. Wer so etwas glaubte, betrog sich nur selbst.
    Plötzlich verschwand draußen der ganze Wahnsinn, wie von einer Hand weggewischt. Aus Rissen im Boden wuchs dicker grauer Dunst herauf und klebte wie ein Baumwolltuch über allem und hüllte alles in dichte Düsternis. Der Landrover bockte und hielt an. Der nachfolgende, in dem Herodes aus Judäa saß, konnte nicht so rasch halten und krachte dröhnend gegen das Heck des vorderen Wagens.
    Dann griffen unsichtbare Hände nach Simons Karosse und begannen sie auf und nieder zu schaukeln.
    »Was ist denn jetzt schon wieder?« grunzte Simon. »Sind es Dämonen?«
    Gilgamesch hatte bereits seinen Bogen von hinten geholt, den

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