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Das Land der lebenden Toten

Das Land der lebenden Toten

Titel: Das Land der lebenden Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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es doch mit deinem Blasco y Velez«, sagte Picasso.
    Er schloß die Augen und sah wieder die Arena vor sich, kochend von Farben, von Lärm, von Leben. Die vor und zurücktänzelnden Banderilleros, die Picadores, die geschickt ihre Spieße setzten, den Matador, der still in der sengenden Sonne allein dasteht. Und den Stier, den Stier, den Stier, schwarz, schnaubend, den hohen Rücken von Blut bedeckt, die Hörner gereckt wie drohende Lanzen! Wie er das vermißt hatte, seit er in der Nachwelt lebte! Sabartes hatte vor der Stadt Uruk ein altes römisches Stadium entdeckt, das sich zu einer Plaza de Toros umbauen ließ, und er hatte drei, vier Stiere aufgetrieben – dämonische Stiere, nicht so ganz das Wahre, grün-purpurne Kreaturen mit doppelten Rückenwirbeln und Ohren wie Elefanten, doch por dios, wenigstens die Hörner saßen am richtigen Platz –, und Sabartes hatte in der Stadt ein paar Spanier und Mexikaner aufgetrieben, die wenigstens einige oberflächliche Kenntnis der Kunst der Corrida besaßen und die verschiedenen Zweiten Rollen übernehmen konnten. Aber es waren hier einfach keine Matadores zu finden. Massenhaft angeberische Kriegshelden in der Stadt, Assyrer und Byzantiner und Römer und Mongolen und Türken, die sich bereit erklärten, in den Ring zu springen und jedes Tier abzuschlachten, das man ihnen entgegenschickte. Aber wenn er, Picasso, den Wunsch hätte, Metzger an der Arbeit zu sehen, dann konnte er ja gleich in den Schlachthof gehen. Der Stierkampf war ein Schauspiel, ein Ritual, ein religiöser Akt. Ein Tanz. Eine Form von Kunst, und der Matador war der Künstler dabei. Ohne einen echten guten Matador war das Ganze nichts wert. Was konnten irgendwelche grobschlächtigen schwertschwingenden Haudegen schon von der ›Stunde der Wahrheit‹ wissen, davon, wie der Degen gehalten werden, die Capa geschwungen werden mußten, was von den Schritten, von der Technik des Todesstoßes? Nein, es war schon besser, man wartete, bis die Sache anständig getan werden konnte. Aber die Monate vergingen, oder mehr als Monate, denn wer vermochte schon den Fluß der Zeit in diesem Irrenhaus vernünftig zu messen? Die Stiere wurden auf dem Hof, auf dem sie untergebracht waren, feist und träge. Picasso fand es empörend, daß sich kein qualifizierter Kämpfer finden ließ, wo doch jeder, der je gelebt hatte, sich bereits irgendwo hier in der Nachwelt herumtrieb. Man konnte hier El Greco finden, oder Julius Caesar, man konnte hier Agamemnon finden, Beethoven, Toulouse-Lautrec, Alexander den Großen, Velazquez, Goya, Michelangelo, Picasso. Man konnte sogar Jaime Sabartes finden! Aber wo steckten alle die großen Stierkämpfer? Nicht in Uruk, anscheinend, und auch nicht in den benachbarten Landstrichen. Möglich, daß sie in der Nachwelt eine abgesonderte Ecke nur für sich hatten, wo alle, die je eine muleta und den estoque getragen hatten, sich zu einer Corrida versammelt hatten, die Tag und Nacht und Nacht und Tag weltendlos ablief.
    Aber nun hatte sich endlich jemand gezeigt, der behauptete, etwas von der Kunst zu verstehen. Hier in Uruk. Also, so sei’s denn! Zwar bedeutete eine Corrida mit nur einem einzigen Matador, daß es ein kurzer Nachmittag werden würde, aber das war immer noch besser als gar kein Stierkampf, und vielleicht würde sich die Nachricht ja verbreiten, und Belmonte oder Manolete würden rechtzeitig in die Stadt kommen und der Fiesta anständigen Glanz verleihen. Er, der sich hier Ruiz nannte, mochte nicht länger warten! Es war schon viel zu lange her, daß er keine Fiesta brava mehr miterlebt hatte. Vielleicht war ein guter Stierkampf ja das Zaubermittel, das er brauchte, damit seine Bilder wieder gut wurden.
    »Ja«, sagte er zu Sabartes. »Versuchen wir es mit deinem Blasco y Velez. Wie wär’s mit nächster Woche, heh? Am Sonntag? Oder ist das zu früh?«
    »Am nächsten Sonntag, ja, Pablo. Falls es nächste Woche einen Sonntag gibt.«
    »Sehr gut. Das hast du gut gemacht, Sabartes. Aber jetzt…«
    Sabartes wußte, wann er entlassen war. Er lächelte, er verneigte sich anmutig wie ein Höfling vor Ninsun, streifte die verdeckte Leinwand auf der Staffelei mit einem bedeutsamen Blick und schlüpfte dann aus der Tür.
    »Soll ich jetzt die Stellung wieder einnehmen?« fragte die sumerische Frau.
    »In einer kleinen Weile vielleicht«, sagte Picasso.

13
    D IE S TADT war genau so, wie Gilgamesch sie in seiner Vision in Brasil gesehen hatte, als Calandola ihm den Weg geöffnet und ihm die

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