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Das Land der lebenden Toten

Das Land der lebenden Toten

Titel: Das Land der lebenden Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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denen er lechzt –, schön, warum denn dann nicht? Die einzigen Alternativen dazu wären Nichtstun, Stagnation, Hoffnungslosigkeit. Und schlimmstenfalls würden sie eine Enttäuschung erfahren; aber wenn man gar nichts tut, kann man nicht damit rechnen, je irgend etwas zu erreichen.
    Simon rutschte unruhig auf seinem Sitz neben Gilgamesch hin und her und sagte besorgt: »Ich glaubte, wir würden durch ein Gelände voller Marschen und Seen ziehen, nicht durch eine Wüste. Das da sieht aber ganz und gar nicht so aus wie auf der Landkarte, die der Karthager mir verkauft hat.«
    Gilgamesch zuckte die Achseln. »Warum sollte es denn? Diese Karte war ein Traum, Simon. Diese Wüste ist ein Traum. Und die Stadt, nach der wir suchen, ist wahrscheinlich ebenfalls nur ein Traum.«
    »Aber wieso hattest du es dann so eilig, von Brasil aufzubrechen?«
    »Auch wenn es nicht existieren sollte, ist das kein Grund, nicht danach zu suchen«, erwiderte Gilgamesch. »Und sobald wir uns einmal für die Queste entschieden haben, ist es einfach besser, je früher wir damit beginnen, statt es hinauszuschieben.«
    »Kein Römer würde solch einen Unsinn reden, Gilgamesch.«
    »Möglich. Aber ich bin kein Römer.«
    »Manchmal habe ich so meine Zweifel, ob du überhaupt ein menschliches Wesen bist.«
    »Ich bin eine arme verdammte Seele, genau wie du.«
    Simon schniefte verächtlich und reichte einem Sklaven eine neue Flasche Wein zum Entkorken. »Hört euch den an! Eine arme verdammte Seele, sagt er! Seit wann glaubst du denn an Gericht und Verdammung und dieses ganze hohle Blech der Spät-Toten? Und willst du mich etwa täuschen mit diesem schniefenden Selbstmitleid? Eine arme verdammte Seele! Welche arrogante Heuchelei! Du könntest nicht einmal überzeugend zerknirscht sein, wenn dein Leben davon abhinge! Oder dich ernstlich selber auch nur eine halbe Minute lang bemitleiden! Du bist dafür einfach zu verdammt vornehm!« Damit ergriff Simon die geöffnete Flasche, trank einen tiefen bedächtigen Schluck und nickte, dann rülpste er und bot Gilgamesch die Flasche an. Dieser trank gleichgültig, ohne den Geschmack des Getränks richtig zu bemerken.
    »Aber ich meinte es wirklich ganz im Ernst«, sagte er nach einiger Zeit. »Wir alle hier an diesem Ort sind Verdammte, auch wenn das wohl jeweils für verschiedene Leute etwas ganz Verschiedenes bedeutet. Und arm sind wir alle, ungeachtet der Truhen voller Schätze, die wir horten, denn hier ist alles Dämonenwerk und Truggold, ohne Substanz und Gehalt, und nur ein Narr sieht das nicht ein.«
    Simons fleischiges Gesicht wurde dunkelrot, und die Flecken und Schwellungen traten deutlicher und zornig hervor. »Mach dich nicht lustig über mich, Gilgamesch. Ich bin durchaus willens, mir eine Menge von deiner Überheblichkeit gefallen zu lassen, weil ich weiß, daß du zu deiner Zeit etwas ganze Besonderes gewesen bist, und weil du viele Eigenschaften besitzt, die ich bewundere. Aber treib keinen Spott mit mir! Und behandle mich nicht so von oben herab!«
    »Tu ich das denn, Simon?«
    »Unablässig. Du überheblicher aufgeblasener sumerischer Bastard!«
    »Wieso verspotte ich dich, indem ich dir sage, ich nehme die Tatsache hin, daß die launischen Götter mich mit einem Fingerschnippen an diesen Ort hier geschickt haben – ebenso wie dich oder Herodes oder jedermann, der jemals auf Erden atmete? Wieso verspotte ich dich, wenn ich zugebe, daß ich nichts weiter bin und niemals etwas anderes war als ein Spielzeug in ihrer Hand – genau wie du?«
    »Du, Gilgamesch? Ein Spielzeug in der Hand der Götter?«
    »Du glaubst also, daß wir hier einen freien Willen haben?«
    »Nur ein Schwachkopf könnte etwas anderes glauben. Versteh doch, Gilgamesch, es gibt nun einmal Herrschertypen und Sklavennaturen«, sagte Simon. »Auch hier in der späten Nachwelt wohne ich in einem mit Rubinen und Smaragden geschmückten Palast und habe Hunderte von Dienern, die mir das Badewasser bereiten, meine Karossen fahren und mir das Mahl zurichten. Und es ist ein verdammt viel angenehmeres Leben als das, was ich in Samaria hatte, oder sogar in Rom. Ich bin hier – wie seinerzeit in der anderen Welt – eine Führerpersönlichkeit für die Leute. Drüben hatte ich eine Sektengemeinde, hier herrsche ich über eine reiche Insel. Bloßer Zufall? Oder freier Wille, Gilgamesch? – Nein! Weil ich es so möchte. Weil ich mich so entschieden und hartnäckig und ehrlich darum bemüht habe.«
    »Die Speisen, die du verzehrst,

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