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Das Land der lebenden Toten

Das Land der lebenden Toten

Titel: Das Land der lebenden Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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wir sind jetzt allesamt Später Tote. Möglich, daß es dir gelingt, weiterhin wie ein alter Sumerer zu leben, aber der Rest der Menschen steckt bis zum Hals in der Moderne.«
    »Sie haben mein tiefes Mitgefühl«, sagte Gilgamesch.
    »Du hast nicht die geringste Ahnung davon, was für revolutionäre Bewegungen in einem halben Dutzend Städten hinten im Osten brodeln, nicht wahr? Die Aufstände? Die Volksrevolte gegen die Regierung in Nova Roma? Die jüngsten Großtaten von Tiglath-Pileser? Der momentane Standpunkt Metternichs? Nein, Gilgamesch, nein, du bist nicht auf dem laufenden. Und dazu noch sträflich stolz auf deine Uninformiertheit. Ich dagegen, ich kümmere mich um das, was an Neuem passiert, und ich…«
    »Ich habe in Nova Roma gelebt, Herodes. Ich habe Cromwell erlebt und Bismarck und Lenin und Tiglath-Pileser und Sennacherib und den Rest dieser Mistkerle, wie sie ihre erbärmlichen kleinen Intrigen schmiedeten. Weshalb, denkst du, bin ich sonst ins Outback gezogen? Nach einer halben Stunde in ihrer Gesellschaft kamen mir Tränen der Langeweile vom Gähnen. Ihre Intrigen kamen mir vor wie das Gequieke von Mäusen. Was immer diese Typen planen mögen, es wird hinweggewaschen werden wie Sandburgen am Gestade des Meeres, und die Nachwelt wird weitergehen und weiter, wie sie es immer tat. Und genau das werde auch ich tun. Die dämonischen Unsichtbaren, die hier die wahren Herrscher sind, lachen über die Anmaßung solcher Aufmüpflinge. Ich übrigens lache darüber auch. Nein, nein, Herodes, ich brauche deine Führung nicht. Wenn ich beschlossen habe, dich vor Schaden zu schützen, dann aus Mitgefühl, und nicht aus Eigensucht.« Er warf einen Blick auf die Armbanduhr an seinem Gelenk, ein Geschenk von Simon Magus. »Es wird spät. Wir sollten zu dem Fest aufbrechen.«
    »Diese Uhr, die du da trägst, ist eine der verächtlichsten Erfindungen der Später Toten.«
    »Ich nehme mir, was mir gefällt, von ihrem Zeug«, sagte Gilgamesch. »Aber nur sehr wenig davon gefällt mir. Und du bist auch nicht der erste, der mich wegen meiner Inkonsequenz zu necken versucht. Aber ich weiß, wer ich bin, Herodes, und ich weiß, woran ich glaube.«
    »Gewiß«, sagte Herodes in einem Ton, der sich selber Lügen strafte. »Wie dürfte jemand daran zweifeln?«
    Gilgamesch hätte ihn gern zum Fenster hinausgeworfen, doch in diesem Moment kehrten die Diener zurück, um sie zum Festsaal zu geleiten. Simon erwartete sie bereits in der prunkvollen Vorhalle und strahlte sie mit weingerötetem Gesicht an. Er hatte es abgelehnt, sich sumerisch zu kleiden, und trug eine purpurne Toga und hohe vergoldete griechische Kothurne.
    Auf dem Weg zur Tür ergriff Simon Gilgamesch am Arm und sagte leise: »Einen Moment. Sag mir etwas über diesen König, den wir da treffen sollen, diesen Dumuzi.«
    »Wenn es der gleiche Mann ist, folgte er meinem Vater, Lugalbanda, auf dem Thron in Uruk nach – dem ersten Uruk –, als ich ein Knabe war, und trieb mich ins Exil. Er war feige und dumm, er mißachtete Recht und Riten und vergeudete die öffentlichen Gelder für lachhafte Abenteuerlichkeiten, und die Götter nahmen das Königtum von ihm, und er starb. Und damit war für mich der Weg zum Thron frei, und ich wurde König.«
    Simon der Magier nickte. »Du hast ihn ermorden lassen, meinst du?«
    Gilgameschs Augen wurden groß. Dann lachte er. Der Mann mochte zwar ein Säufer sein, aber sein Verstand klickte immer noch scharf genug.
    »Nicht ich, Simon. Damit hatte ich nichts zu schaffen. Ich war damals im Exil; es waren die großen Männer der Stadt, die erkannten, daß Dumuzi verschwinden mußte, und die Priesterin Inanna, die ihm dann das Gift verabreichte. Sie sagte ihm, es sei eine Medizin gegen eine Krankheit, an der er litt.«
    »Hmmm«, machte Simon. »Du und der, ihr wechselt euch also in der Königsherrschaft von Uruk ab, hier und im früheren Leben. Und jetzt ist gerade wieder mal er an der Reihe und herrscht. Und dann bist vielleicht bald wieder du dran. Alles bewegt sich endlos weiter im Kreise.«
    »So ist es nun einmal hier an diesem Ort. Ich bin inzwischen daran gewöhnt.«
    »Und er hat dich einst gefürchtet. Also wird er dich auch jetzt immer noch fürchten. Es werden also heute abend eventuelle alte Schwären aufbrechen. Vielleicht gibt es einen Versuch, alte Rechnungen zu begleichen.«
    »Dumuzi hat mir noch nie Furcht eingejagt«, sagte Gilgamesch und machte eine Handbewegung, als verscheuchte er eine aufdringliche

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