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Das Land der lebenden Toten

Das Land der lebenden Toten

Titel: Das Land der lebenden Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Fliege.

14
    S ABARTES FRAGTE : »Was ist es, Pablo, weshalb bist du in der letzten Zeit so aufgeregt? Ist es deine neue Geliebte? Oder weil wir endlich einen Stierkampf veranstalten können?«
    »Du findest, ich wirke aufgeregt, Bruder?«
    Mit einer schweifenden Handbewegung deutete Sabartes auf die im ganzen Atelier verstreuten Skizzenblätter, die sechs, sieben neuen, halbfertigen Leinwände, die an der Wand lehnten, die leuchtenden Farbflecken überall, wo Picasso Farbbüchsen umgeworfen hatte, ohne sich in seiner Schöpfereile darum zu kümmern, sie aufzuwischen. »Du bist wie einer, der brennt. Du arbeitest ohne Unterbrechung, Pablo.«
    »Ach? Und das ist etwas Neues?« Picasso wühlte achtlos in einem Stapel amtlich aussehender Papiere, fand ein Blatt, dessen Rückseite leer war, und zeichnete rasch eine Karikatur seines Freundes, die hohe Stirn, die dicken Brillengläser, den weichen fleischigen Hals. Zu seinem Erstaunen sah er, daß er den alten pedantischen Sabartes der letzten Erdenjahre skizzierte, nicht den absurd jugendlichen Bohemien, der da vor ihm stand. Und dann verwandelten ein paar unbedachte hastige Striche die Zeichnung, und es wurde ein Dämon mit feurigem Rachen und Hauerzähnen daraus. Picasso zerknüllte das Blatt und warf es weg. Er sagte: »Sie wird bald erscheinen. Wolltest du mir etwas sagen?«
    »Aha. Dann ist es also die Frau, Pablo.«
    »Sie ist grandios, nicht wahr?«
    »Sie waren alle grandios. La Belle Chelita war grandios, die aus dem Stripteaselokal. Fernande war grandios. Eva war grandios. Marie-Therese war grandios. Dora Maar war auch…«
    »Basta, Sabartes!«
    »Ist nicht bös gemeint, Pablo. Mir ist nur eben klar geworden, daß Picasso sich eine neue Frau erwählt hat, eine Frau, die ebenso wundervoll ist wie die vor ihr, und…«
    »Du sollst mich Ruiz nennen, Bruder!«
    »Es fällt mir schwer«, sagte Sabartes. »Sehr schwer.«
    »Ruiz war der Name meines Vaters. Ein durchaus ehrenwerter Name für mich.«
    »Die Welt kannte dich als Picasso. Die ganze Nachwelt wird dich auch als Picasso kennen im Laufe der Zeit.«
    Picasso schnitt eine Grimasse und begann eine neue Skizze von Sabartes, die sich ohne sein Zutun fast sogleich und ohne daß er etwas dagegen tun konnte, in ein Porträt von El Greco verwandelte, das langgezogene Gesicht, die tiefliegenden sorgenvollen Augen, und dann, zu seinem Ärger, in ein Bocksgesicht. Wieder schleuderte er das Blatt beiseite. Diese Metamorphosen hätten ihn nicht gestört, wenn er sie beabsichtigt hätte. Aber so, das war unerträglich, daß er keine Kontrolle darüber besaß. In seinem vorherigen Leben hatte er gern zu Leuten gesagt: Das Malen ist stärker als ich. Das Bild zwingt mich, zu machen, was es will. Jetzt wurde ihm bewußt, daß er damals nicht die Wahrheit gesagt haben konnte; denn jetzt geschah ihm das wirklich, haargenau das, und es paßte ihm überhaupt nicht.
    Er sagte: »Ich ziehe es jetzt vor, hier als Ruiz bekannt zu sein. Damit mich hier keiner meiner Erben ausfindig machen kann. Sie sind sehr zornig auf mich, Bruder, daß ich kein Testament hinterlassen habe, so daß sie jahrelang vor Gerichten herumstreiten müssen. Ich möchte lieber keinen von denen treffen. Auch keine von diesen Weibern, die nach mir suchen. Wir schreiten weiter, Sabartes. Wir dürfen uns nicht von der Vergangenheit verfolgen lassen. Ich bin jetzt Ruiz.«
    »Und du glaubst, wenn du dich anders als Picasso nennst, kannst du deiner Vergangenheit entrinnen, obwohl du immer noch aussiehst wie er, dich wie er verhältst und Tag und Nacht malst? Pablo, Pablo, du betrügst dich selber! Du könntest dich Mozart nennen, aber du würdest immer noch Picasso bleiben.«
    Das Telefon klingelte.
    »Geh du ran!« befahl Picasso scharf.
    Sabartes gehorchte. Nach einer Weile legte er die Hand über die Muschel und blickte auf.
    »Es ist deine Sumer-Priesterin.«
    Picasso beugte sich vor, gespannt, besorgt und bereits grimmig. »Sie sagt die Sitzung ab?«
    »Nein, nichts dergleichen. Sie wird in Kürze hier sein. Doch sie sagt, König Dumuzi hat sie für heute abend zu seinem Bankett im Königssaal befohlen und du bist als ihr Tischherr geladen.«
    »Was habe ich mit König Dumuzi zu schaffen?«
    »Sie bittet dich, sie zu begleiten.«
    »Ich habe zu arbeiten. Ihr wißt doch, daß ich kein Mann bin, der sich auf den Festen von Königen herumtreibt.«
    »Soll ich ihr das sagen, Pablo?«
    »Sag ihr – nein, warte! Warte! Laß mich überlegen. Rede mit ihr, Sabartes.

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