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Das Land der lebenden Toten

Das Land der lebenden Toten

Titel: Das Land der lebenden Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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gejagt hatte, sich aus den Intrigen und dem üblen Treiben in den Städten heraushielt – und diese Zeitperiode in der Wildnis mußte gewiß Jahrzehnte gedauert haben, wenn nicht Jahrhunderte. Und dennoch schienen sein Gesicht und seine Gestalt jedermann in Uruk bekannt zu sein.
    Nun gut, er würde darüber in Kürze mehr erfahren. Vielleicht verehrten ihn die Einwohner hier wie eine ehrwürdige Legende und erflehten beständig seine Wiederkehr. Oder, noch wahrscheinlicher, es handelte sich nur um eine weitere Manifestation des Hexenspuks der Nachwelt, der solche Verwirrungen erzeugte.
    Inzwischen waren sie fast in Uruk angelangt. Die Straße war flach geworden. Vor ihnen ragte eine feste Mauer aus rotem Backstein auf, und in der Mitte war ein breites Bronzetor, beschrieben mit den Symbolen von Schlangen und anderen Ungeheuern. Als sie herankamen, flog das Tor auf und der ganze Zug rollte hindurch.
    Simon, inzwischen ziemlich weinbeduselt, drosch fröhlich auf Gilgameschs Schulter ein. »Uruk, Gilgamesch, wir sind tatsächlich da! Hättest du geglaubt, daß wir wirklich herfinden?«
    »Uruk hat uns gefunden«, erwiderte Gilgamesch gelassen. »Wir hatten uns verfahren, in einer Gegend, wo überall Nichts war, und plötzlich lag Uruk vor uns. Also sind wir jetzt da, Simon. Aber wo sind wir?«
    »Ach, Gilgamesch, Gilgamesch, was bist du doch für ein nüchterner Klotz! Wir sind in Uruk, egal wo das ist! Freu dich doch, Mann! Lache! Sei fröhlich! Diese Stadt ist deine Heimatstadt! Dein Freund wird da sein – wie heißt er noch? Inkibu? Tinkibu?«
    »Enkidu!«
    »Enkidu, ach ja. Und deine Verwandten, deine Bruder, dein Vater vielleicht…«
    »Wir sind hier in der Nachwelt, Simon. Hier wird dir Genuß zu Asche auf der Zunge. Ich erwarte mir gar nichts von hier.«
    »Du wirst wieder König sein. Ist das nichts?«
    »Habe ich etwa gesagt, daß ich den geringsten Wunsch verspüre, hier zu herrschen?« fragte Gilgamesch und funkelte Simon an.
    Dieser blinzelte überrascht. »Also, Herodes sagt es.«
    »Ach, sagt er das?« Gilgamesch durchbohrte den kleinen Hebräerkönig mit einem scharfen Blick. »Wer glaubst du denn, wer du bist, Herodes, daß du dir anmaßen darfst, zu verkünden, was in meinem Kopf vorgeht? Woher nimmst du die Kühnheit zu glauben, du weißt, was in meinem Innersten ist?«
    Als fürchtete er, geschlagen zu werden, sank Herodes in sich zusammen und sagte ganz leise: »Es ist, weil ich doch bei dir war, als du die Erkenntnis bekamst, Gilgamesch. Und ich empfing sie mit dir. Hast du das so rasch schon wieder vergessen?«
    Gilgamesch dachte darüber nach. Er konnte die Tatsache nicht leugnen. Ruhig sagte er: »Es muß hier in dieser Stadt schon einen König geben. Ich gedenke nicht, ihn zu vertreiben. Aber wenn die Götter mir dieses Geschick bereitet haben, dann…«
    »Nicht die Götter, Gilgamesch. Die Dämonen! Wir sind hier in der Nachwelt«, ermahnte ihn Herodes.
    »Ja, die Dämonen«, gab Gilgamesch zu.
    Inzwischen waren sie weit nach Uruk hineingefahren und hielten nun mitten auf einem weiten Platz. Aus der Nähe erkannte Gilgamesch nun, daß dieses Uruk nur scheinbar eine sumerische Stadt war: Gewiß, viele Gebäude waren im alten Stil, doch es gab auch alle erdenklichen anderen Stilrichtungen und Perioden, diese scheußlichen Bauwerke, die man als Bürohäuser bezeichnet, und der düster brütende Koloß eines Kraftwerks, das giftige Fäulnis in die Luft spuckte, und ein unheimlich wirkender schmutzig-roter Backstein-Barackenkomplex ohne Fenster, und dann an einer Ecke drüben etwas, das aussah wie ein Gerichtshaus oder wie ein Palast in römischem Stil. Vor dem Landrover drängte sich eine Menschenmenge, viele in sumerischer Kleidung, aber keineswegs alle, es war die gewöhnliche Mischung, Früh-Tote und Spätere, in allen den Moden ihrer Zeiten kostümiert. Alle starrten auf ihn. Alle waren stumm.
    »Du steigst zuerst aus«, sagte Simon zu Gilgamesch.
    Der nickte. Ein Haufen von offensichtlich offiziellen und ihrer Erscheinung nach eindeutig sumerischen Stadthonoratioren hatte sich vor dem Landrover in einer Reihe aufgebaut und schaute erwartungsvoll zu ihm herein. Seine Ankunft hier schien sie einigermaßen zu beunruhigen oder doch zu verblüffen.
    Er stieg aus. Er überragte sie alle durch seine gewaltige Größe.
    Ein Mann mit einem dichten schwarzen Krausbart und kahlgeschorenem Schädel, gekleidet in den Wollkittel des Sumer-Landes, trat vor und sagte – auf englisch: »Wir grüßen

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