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Das Land des letzten Orakels

Titel: Das Land des letzten Orakels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Whitley
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war, ohne zu wissen, ob sie am Leben oder tot war.
    Erst als Lily ihre Geschichte beendet hatte, wandte sie sich der stummen Frau zu. »Nun, Elespeth, möchtest du darüber sprechen, wie du mich hintergangen hast?«, fragte sie scheinbar beiläufig.
    Es herrschte tiefes Schweigen. Seltsamerweise war Elespeth die einzige, die offenbar nicht schockiert war. Als sie sprach, wirkte sie geradezu erleichtert.
    »Du weißt also davon?«
    Lily nickte. Dieses eine Mal konnte Laud überhaupt nicht abschätzen, was ihr gerade durch den Kopf ging. Wenn man bedachte, über was sie sprachen, wirkte sie sonderbar gelassen.
    »Mark hat es herausbekommen, unmittelbar bevor du ihn gefangen nehmen und zurück nach Agora hast schicken lassen«, sagte Lily leise. »Ich hätte mehr von dir erwartet, Elespeth. Ich wusste, dass du mich nicht leiden kannst, aber ich hätte nicht gedacht, dass du uns an den Orden verraten würdest. Vor allem nicht an Vater Wolfram.«
    Laud hatte mit einer Rede gerechnet, einer Art moralischer Rüge. Die alte Lily, vor ihrer Genesung, hätte mittlerweile gekocht. Aber das hier war etwas anderes, etwas viel Ruhigeres.
    Was Elespeth betraf, so hielt sie ihrem Blick stand. »Wenn dem so ist, warum hast du mich dann durch den Alptraum herbeigerufen?«, fragte sie. »Musstest du nicht befürchten, dass ich dich erneut hintergehe?«
    Lily zuckte mit den Schultern. »Du hast mich gelehrt, den Alptraum zu benutzen – ich habe ihn benutzt. Und soweit ich weiß, könnten es Tage bis zum nächsten Dorf sein, und ich hatte niemanden sonst, den ich hätte bitten können. Ich hoffte, dass du dich schuldig fühlen würdest.«
    Elespeth nickte, und ihre Schultern entspannten sich ein wenig. »Mehr, als du dir vorstellen kannst«, räumte sie ein. »Als ich mich bereit erklärte, auf Wolframs Forderung einzugehen, glaubte ich, er handele im Auftrag des Waage-Bundes. Doch seitdem hat sich Wolframs Besessenheit, dich zu finden, noch verstärkt … Selbst seine eigenen Leute haben sich offenbar gegen ihn gewandt. Seine Briefe sind merkwürdig geworden, voller Gerede davon, der Direktor von Agora hätte die Kontrolle über die Pläne des Waage-Bunds übernommen und über ›den am Tage des Urteils gewählten Vertreter‹.« Elespeth schüttelte den Kopf. »Er hat bereits einige Mitglieder des Ordens der Verlorenen damit angesteckt und sie nach Agora berufen. Sogar ein paar aus meinem Zirkel haben sich ihm angeschlossen. Er hat mir weiterhin Briefe geschickt, aber ich habe sie nicht beantwortet. Der Tag des Urteils naht, und ich werde nichts gegen die Richter unternehmen.«
    Gereizt verlagerte Laud seine Position. »Hören Sie doch mit diesem Unsinn auf. Ich wette, dass dieser ›Tag des Urteils‹ nie kommen wird.«
    Elespeth lächelte. »Der Tag des Urteils kommt in neun Tagen, Mr Laudate«, sagte sie. »Und selbst wenn Sie nicht daran glauben, gibt es doch genug Menschen, die dafür sorgen werden, dass es ein unvergesslicher Tag sein wird.«
    Eine unbehagliche Pause entstand. Laud und Lily wechselten Blicke. Sie wussten beide, was in neun Tagen anstand. Agora-Tag. Das Große Fest.
    Und wenn alles nach Plan verlief, würden sie in sieben Tagen nach Agora zurückkehren. Gerade noch rechtzeitig.
    »Was weißt du vom Tag des Urteils, Schwester Elespeth?«, fragte Lily.
    Elespeth schüttelte den Kopf. »Nur dass an ihm alles zu einem Ende kommen wird. Es ist nicht die Art des Zirkels, den großen Plan in Frage zu stellen.«
    »Der Zirkel hat uns geholfen«, fügte Owain hinzu, offensichtlich bemüht, das Gespräch von diesem unangenehmen Thema abzulenken. »Nachdem Wulfric ging, hat Elespeth sich um uns gekümmert. Sie hat sogar unseren Sohn entbunden. Sie haben uns vor den Leuten aus unserem alten Dorf beschützt, als sie versucht haben, uns aufzustöbern. Wir schulden ihr so viel …«
    »Es ist schon gut, Owain«, sagte Elespeth und hob die Hand. »Ich habe mitgeholfen, einen ihrer Freunde gefangen zu nehmen, aber jetzt habe ich sie mit einem anderen wieder zusammengebracht, indem ich sie hierhergeführt habe. Ich glaube, in Agora wäre das ein fairer Handel.«
    Lily zog die Brauen hoch. »Nein«, sagte sie. »Ich denke, du schuldest mir mehr als das.«
    Elespeth wandte sich einfach ab.
    Die Unterhaltung wurde fortgesetzt, doch Laud hörte nicht mehr richtig zu. Gelegentlich nickte er zur Bestätigung, wenn Lily ihre Geschichte erzählte, doch zumeist dachte er über Elespeth nach. Ja, sie hatte Lily hintergangen, und das konnte

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