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Das Land des letzten Orakels

Titel: Das Land des letzten Orakels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Whitley
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hießen, drehte sich in seiner funkelnden, blausilbernen Aufmachung um, als wäre ihm gerade etwas eingefallen. Er schaute Elespeth streng an.
    »Hat Sie da jemand gerade Schwester Elespeth genannt?«, wollte er wissen.
    Die Hexe nickte, trat vor und tat überheblicher, als sie war. »Ja«, antwortete sie und schob sich dabei weiter vorwärts, sodass sie Auge in Auge vor dem Wachmann stand. »Wer will das wissen?«
    Schwere Hände legten sich auf ihre Schultern.
    »Vater Wolfram will Sie sprechen«, ordnete einer der anderen Eintreiber an. Sie sträubte sich natürlich. Nur ein wenig. Aber gerade genug, dass die Eintreiber abgelenkt wurden.
    »Sind Sie in Begleitung?«, wollte der Eintreiber wissen und spähte dabei in die Dunkelheit.
    »Nein, ich bin allein«, erwiderte Elespeth.
    Was mittlerweile auch der Wahrheit entsprach.
    Lily stand am Bug des Dampfers und wartete.
    Um sie herum klatschten die kleinen Wellen des Sees gegen die Wände der Schlucht. Es war wunderschön, doch Lily war nicht hier, um die Aussicht zu genießen. Ihre gesamte Aufmerksamkeit war auf die steile Klippe vor ihr gerichtet und auf die riesigen dunklen Holztore, die in ihren Sockel eingelassen worden waren und sich auf der Wasseroberfläche spiegelten.
    Hinter der Felsklippe konnte Lily gerade noch die fernen Türme von Agora ausmachen. Weiter konnten sie auf dem Fluss Ora nicht kommen. Im Verlauf der letzten Tage waren sie flussaufwärts die Talsohle entlanggefahren, doch das Gewässer jenseits dieses Sees war nicht schiffbar. Ganz zu ihrer Linken erblickte Lily den atemberaubenden Wasserfall, der diesen See speiste und vom höchsten Punkt der Klippe in die Tiefe stürzte.
    Doch Lilys Aufmerksamkeit blieb auf die beiden riesigen Holztore gerichtet. Diese Tore waren wesentlicher Bestandteil ihres Plans. Denn sie waren der Grund dafür, dass Honorius aus Agora verbannt worden war.
    Es war alles ein schrecklicher Fehler gewesen. Honorius war einst in Agora ein Lobredner gewesen wie Laud auch. Eine seiner Kundinnen war geheimes Mitglied des Waage-Bundes gewesen, eine Museumskustodin, die vorhatte, eine neue Ausstellung über das Goldene Zeitalter von Agora zu präsentieren. Und als Honorius gekommen war, um Informationsmaterial abzuholen, hatte sie ihm das falsche Buch gegeben. Nur durch Zufall hatte er die betreffende Stelle gelesen, bevor die Eintreiber kamen, um ihn fortzuschleppen. Doch was er gelesen hatte, war wahrhaftig sensationell gewesen.
    Denn er hatte herausgefunden, wie sich diese Tore öffnen ließen. Nicht die winzigen geheimen Schleusen, die es einem kleinen Flussdampfer nach dem anderen erlaubten, aus der Stadt hinauszugleiten und nach Giseth zu fahren, um dort Lebensmittel abzuholen. Nein, diese Tore hier führten zu einer riesigen alten Schleusenkammer, die es sogar einem Schiff von der Größe des Sanatoriums erlaubte, auf der Ora in die Stadt hineinzugleiten, die Mauern von Agora zu passieren und in den Hafen zu segeln.
    Jetzt mussten sie nur noch darauf warten, dass Owain ihre Anweisungen befolgte. Lily schauderte erwartungsvoll. Nun gab es wirklich kein Zurück mehr.
    Owain schleppte sich durch die Stadt. Diese neue, unangenehme Erfahrung überforderte seine Sinne. Es war leicht gewesen, durch den Stollen zu schlüpfen, während Elespeth die Eintreiber ablenkte. Er hatte rasch eine Tür gefunden, die zu den Abwasserkanälen von Agora führte, und hatte sich unterwegs seiner grünen Robe entledigt. Dann war er durch den Schlamm und Schlimmeres gewatet, darauf brennend, einen Weg hinauszufinden, um diesem Ort der Dunkelheit und der seltsamen Geräusche zu entkommen, der schrecklicher war als alles, was der Alptraum ihm bis dahin gezeigt hatte.
    Doch als er schließlich auf ein Gitterfenster gestoßen war, es eingetreten hatte und bis zu den Knien im Schlamm auf das Flussufer hinausgetreten war, war es auch nicht besser geworden.
    Er konnte es nicht fassen, dass Lily und Mark aus so einem Ort stammten. Sie wirkten doch so voller Leben und Güte. Hier aber schoben sich die Menschen wie eine träge Masse durch die Gassen; ihre Gesichter sahen ausgelaugt und fleckig aus, ihre Kleider waren zerlumpt. Lily hatte gesagt, das Gebäude, nach dem er suchen müsse, befinde sich im übelsten Teil der Stadt, und er hoffte von ganzem Herzen, dass dies der übelste Teil von Agora war. Denn falls das hier das Beste war, was die Stadt zu bieten hatte, dann war er sich nicht sicher, ob er Lily bei ihrer Rückkehr wirklich helfen

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