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Das Land des letzten Orakels

Titel: Das Land des letzten Orakels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Whitley
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ängstlich gemacht. Doch nun sah er sie wieder quicklebendig werden, einen Plan besprechend, der gefährlich und närrisch und womöglich brillant war. Und er fühlte sich zuversichtlicher denn je.
    Lily war wieder so, wie er sie kannte. Und diesem Vorbild würde er überallhin folgen.

KAPITEL 21
    Die Rückkehr
    Schaudernd holte Elespeth tief Luft. Natürlich achtete sie dabei darauf, dass Owain gerade nicht hinsah. Es ging nicht an, ihn spüren zu lassen, dass sie nervös war.
    Nachdem sie sich von Laud und Lily getrennt hatten, waren Owain und sie tagelang durch die Berge gewandert und dabei unterwegs auf andere Mönchskutten tragende Pilger gestoßen. Wolframs Briefe kursierten überall in Giseth und hatten den gesamten Orden sowie zahlreiche Mitglieder des Zirkels der Schatten erreicht. Die meisten hielten Wolfram für verrückt, weil er behauptete, ein neuer großer Plan stehe an, und alle, die ihm dienen wollten, sollten sich ihm in Agora anschließen. Es gab aber auch solche, die ihn beim Wort nahmen und die Reise in Richtung der ummauerten Stadt antraten.
    Zuerst hatte Elespeth befürchtet, die anderen Pilger würden ihnen gegenüber Misstrauen hegen. Doch zum Glück waren ihre Mitreisenden nicht gerade gesellig. Die meiste Zeit hatten sie kaum gesprochen, und fast alle hatten ihre Kapuze nicht aus dem Gesicht geschoben. Angeblich waren sie Verbündete, doch die meisten konnten nicht darüber hinwegsehen, dass einige in der Gruppe die rostrote Tracht des Ordens der Verlorenen trugen – Wolframs Leute –, während andere in das grüne Tuch von Elespeths Zirkel der Schatten gehüllt waren. Das war Owain und ihr gelegen gekommen; sie hatten sich lediglich eine grüne Robe ausleihen müssen, die Owain passte, um ihn zu verkleiden. Trotzdem störte Elespeth der Gedanke, dass ihre eigenen Leute auf Wolframs Phantastereien hereinfielen. Er war nicht nur irgendein Feind, sondern der Schlimmste aus dem Orden. Er war böse und unnachgiebig, bekämpfte jeden Andersdenkenden, wenn es darum ging, ihre Lehren zu verbreiten. Es ließ einen schaudern, mit anzusehen, wie er die Anweisungen des Direktors, eines normalen Sterblichen, befolgte. Der Tag des Urteils stand ihnen kurz bevor – das war das Ende von allem, was sie kannte.
    Als sie Agora erreichten und durch die kleine Holztür in der riesigen Stadtmauer eintraten, bestand ihre Gruppe aus insgesamt sieben Personen. Owain ging neben Elespeth; er hielt den Kopf gesenkt, die Kapuze hatte er tief ins Gesicht gezogen. Seit sie die Stadtgrenze passiert hatten, hatte er noch kein Wort gesagt, doch sie merkte, dass er diese Stollen genauso verabscheute wie sie selbst. So weit weg von der natürlichen Welt zu sein, umgeben von toten, trockenen Steinen, verursachte auch ihr eine Gänsehaut. Es war irgendwie unnatürlich. Und von überall richteten sich Augen auf sie. Wachen in mitternachtsblauen Mänteln begleiteten sie und die anderen Besucher aus Giseth und überwachten sie auf Schritt und Tritt. Dies führte dazu, dass sie sich nicht mehr wie ein Mensch fühlte, sondern eher wie ein Zahnrad in einer Art Höllenmaschine.
    Aber das war nicht das Schlimmste. Zum ersten Mal in ihrem Leben spürte sie nicht die Gegenwart des Alptraums, was für die meisten anderen eine Erleichterung gewesen wäre. Trotz seiner Nervosität hatte Owain gesagt, er freue sich auf eine Welt, in welcher der Alptraum keinen Einfluss habe. Elespeth hingegen lebte schon ihr ganzes Leben lang mit ihm. Er hatte sie geführt und auf die Probe gestellt. Er verlieh ihr die wenige Macht, die sie besaß. Nun war sie allein, bloß eine Frau, die gegen die Mächte dieses Direktors ankämpfte, und sie fragte sich, wie sie sich dazu hatte überreden lassen.
    Der Alptraum hatte sie gewarnt, Lily werde Probleme verursachen; jedes Gefühl, das sie beim Anblick des Mädchens empfand, war behaftet mit seiner Angst. Aber sie hatte nicht darauf gehört, denn wenn sie Lily in die Augen blickte, sah sie in deren dunklen Tiefen das Spiegelbild ihres eigenen Gesichts, in dessen Falten und Furchen sich Schuld eingegraben hatte.
    »Schwester Elespeth?«, zischte Owain.
    Sie hob die Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen. »Still«, flüsterte sie. »Warte auf den Moment.«
    Sie passierten eine der zahlreichen Abzweigungen dieses nasskalten Stollens – ein alter, schon lange nicht mehr genutzter Weg. Sie mussten jetzt nur noch ihre Bewacher ablenken.
    Und dann kam der Moment. Einer der Eintreiber, wie die Wächter in Agora

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