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Das Land des letzten Orakels

Titel: Das Land des letzten Orakels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Whitley
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des Versuchens?«, fragte er. »Sie haben es schon einmal versucht?«
    Miss Devine machte das strähnige Haar der Puppe zurecht. »So ein glückliches kleines Mädchen«, murmelte sie. »Es war immer ganz knapp. Trank nicht das Wasser, das ich brachte, sodass dieser närrische Doktor seinen Durst damit gestillt hat. Natürlich nicht mit Gefühlen vergiftet, denn das wäre zu offensichtlich gewesen. Etwas Traditionelleres.«
    Cherubina stieß einen leisen Laut des Erschreckens aus und ergriff Marks Arm. Mark spürte, wie ihm ein kalter Schauer über den Rücken fuhr. Und er hatte sich gefragt, wer Theo vergiften wollte. Wie hatte er nur so dumm sein können?
    »Aber das war nicht das erste Mal«, fuhr Miss Devine fort. »Als ich an dem Tag, an dem ich meine Anweisungen bekam, neben Crede stand, warf ich nur einen Pflasterstein. Bloß einen. Schade, dass ich nicht gut zielte; ein Jammer, dass er euren teuren Crede fällte. Und es brachte Bewegung in die Angelegenheit …« Sie grinste anzüglich. »Vielleicht war das ja sein Plan. Aber das hätte er mir sicher nicht erzählt. Mit diesem Stein habe ich ihm einen Dienst erwiesen. Meinem großen Direktor. Ihr werdet sehen. Ihr glaubt, ihr entscheidet die Revolution für euch? Er wird darauf vorbereitet sein; er wird sie dazu benutzen, selbst zu gewinnen … er gewinnt immer …«
    Als Cherubina sich bewegte, bekam Mark es nicht mit. Er hörte nur das Rascheln von Röcken, und dann saß Cherubina auf Miss Devine. Sie versetzte ihr einen heftigen Schlag auf die Nase. Mark zögerte bewusst einen Moment, bevor er Cherubina wegzog. Miss Devine hatte die ganze Stadt in einen Krieg hineingezogen. Sie hatte es zweifellos verdient.
    Nach wie vor ihre Würde bewahrend und obwohl ihr Blut aus der Nase lief, stand die Glasmacherin auf. »Nun«, sagte sie. »Ich werde jetzt gehen, und ihr werdet mich nicht aufhalten.«
    »Nein«, knurrte Mark. »Sie werden für Ihre Verbrechen bezahlen.«
    »Bezahlen?«, entgegnete Miss Devine mit kühler Berechnung. »Wen werde ich bezahlen? Die Eintreiber? Das Direktorium? Euch?« Sie hob die Hand. In dieser ruhte eine teuflisch scharfe Glasscherbe. Mark ließ seinen Blick durch den Raum huschen. Er konnte sie zwar angreifen, sich dabei aber nicht sicher sein, dass Cherubina unverletzt blieb. Keine der beiden Frauen konnte momentan klar denken. Und er selbst im Grunde auch nicht. Er hatte keine Ahnung, was geschehen würde, wenn die beiden erneut aneinandergerieten, und ein solches Risiko wollte er nicht eingehen.
    »Sie werden es dem Volk bezahlen«, sagte Mark langsam. »Wir werden allen erzählen, was Sie Crede und Theo angetan haben. Die Leute werden Sie zur Strecke bringen.«
    »Nein, das werden Sie nicht, Mark«, erwiderte Miss Devine. »Bei Ruthven hatten Sie vor dem Gefängnis auch die Chance dazu. Aber es ist nicht Ihre Art.« Ein winziges Lächeln umspielte ihre Lippen. »Deswegen wird er gewinnen, verstehen Sie?«, erklärte sie, während sie auf das Abbild von Snutworth hinabschaute. »Deswegen gewinnt er immer. Sie entwickeln Stärke, wenn Chaos herrscht, nackter Schmerz, wenn hundert verschiedene Stimmen darum zetern, sich Gehör zu verschaffen. Aber er lässt sich nicht verwirren. Er ist der Schatten, der Erzfeind, derjenige, der immer da ist. Er ist derjenige, der keine Grenzen kennt; es gibt nichts, was er nicht tun würde. Er ist scharfsinnig und eiskalt.« Sie hob die Glasscherbe, während ihr Blut auf den Boden tropfte. »Er ist die Ordnung der neuen Welt. Bald wird er alles sein und jeder. Und dann werdet ihr alle ihn so sehen, wie ich ihn sehe.«
    Sie warf die Scherbe in ihre Richtung.
    Es dauerte nur wenige Momente, in denen sie sich duckten und die Augen abschirmten, um sich vor den Glassplittern zu schützen. Doch als sie wieder aufblickten, war Miss Devine verschwunden.
    Später, viel später saß Mark mit Ben und Verity im Tempel. Als er ihnen von Miss Devine erzählte, hatten sie ihm wenig überrascht zugehört. Insbesondere Benedicta hatte geäußert, es gebe kaum etwas, was sie der Gefühlshändlerin nicht zutraue.
    Diese war natürlich verschwunden. Zwar durchkämmten Nicks Männer die Straßen, doch Verity meinte, sie würden sie wohl kaum noch einmal zu Gesicht bekommen.
    Wahrscheinlich hatte sie damit recht, dachte Mark. Miss Devine konnte offenbar keinen vernünftigen Gedanken mehr fassen.
    Da hörte er jemanden am anderen Ende des Raums husten. Es war nicht das Husten eines Kranken und kam auch nicht von einem der

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