Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Land des letzten Orakels

Titel: Das Land des letzten Orakels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Whitley
Vom Netzwerk:
Verheißungen gelegen. Jetzt war die Luft unbewegt, kühl und klar. Und das Hohelied schwebte nicht mehr überall gleichzeitig, sondern schien sie in die Mitte der Kammer und zu der Gestalt auf dem Thron herbeizuwinken, ja herbeizuziehen.
    Snutworth lehnte sich zurück und beobachtete sie. Er war allein, aber vollkommen gelassen. Sein dunkler, mit Gold besetzter Mantel wallte über den steinernen Thron und ließ ihn aussehen wie ein seltenes und kostbares Erz. Aus dem riesigen, sich verjüngenden Kristall, dem Sockel des Mittelpunkts, war fast alles Licht gewichen. Lediglich ein unregelmäßiges Pulsieren flackerte über seine Oberfläche und rief ein Schattenspiel in dem Raum hervor. Dennoch waren Snutworths Augen immer noch deutlich erkennbar – sie leuchteten wie hellgrüne Funken in der Dunkelheit.
    Als Marks Augen sich an das schwache Licht gewöhnt hatten, bemerkte er, dass sich der Felssteg verändert hatte. Bis dort, wo er fast den Thron erreichte, war er immer noch wie vorher, ein sich über die zerklüfteten Kristalle am Fuß der Höhle erstreckender Pfad, der einzige sichere Weg über den Abgrund. Der letzte Teil des Stegs aber war zerstört, und es gähnte ein sechs Meter breiter und wesentlich tieferer Abgrund. Von der anderen Seite schaute sie nun Snutworth an. Selbst jetzt, gefangen auf einer Insel aus Felsgestein, saß er mit gelassener Zuversicht da, eine Hand leicht auf der Lehne seines Throns ruhend, die andere wie zur Begrüßung ausgestreckt.
    »Also, das ist nun eine interessante Situation«, sagte er leise, während seine Stimme durch die Kammer hallte. »Ich hatte mich gefragt, ob Sie vielleicht einfach nach Agora zurücklaufen würden. Ich glaube, Sie wären wesentlich glücklicher, wenn Sie es getan hätten. Das Flüstern hat mir alle möglichen Neuigkeiten übermittelt. In diesem Augenblick stürzt das Direktorium, und Ihre Freunde, Mr Owain und Schwester Elespeth, haben ihr früheres Ich wieder zurückerlangt, und … ja, Lady Astrea gibt ihre Macht aus der Hand – meine Herrschaft als Direktor ist vorbei.« Er lächelte. »Das kommt mir arg gelegen, muss ich sagen. Es erspart mir die Mühe, zurückzutreten und einen Marionettenherrscher für die Stadt ins Amt zu heben. Die Menschen sind ja so viel einfacher zu kontrollieren, wenn sie glauben, sie wären frei.«
    »Kontrollieren?«, schrie ihm Lily verächtlich entgegen.
    Mark spürte, dass sie verängstigt war, es jedoch zu überspielen versuchte, und auch er selbst bemühte sich, keine Furcht erkennen zu lassen.
    »Bitte, Miss Lilith, machen Sie sich nicht die Mühe zu schreien«, sagte Snutworth sanft. »Ich kann jedes Wort hören, das versichere ich Ihnen.«
    »Wie wollen Sie von hier aus herrschen?«, fuhr Lily fort und ging dabei weiter nach vorn, bis sie die Kante des eingerissenen Felsstegs erreicht hatte. »Sie sind gefangen.«
    Snutworth nickte. »Eine kleine Vorsichtsmaßnahme. Jeder hier ist bis zu einem gewissen Grad loyal, aber die Echos überbrachten mir die Nachricht von Ihrem Fluchtplan, und ich durfte das Risiko nicht eingehen, dass Sie beide hierherkommen, während ich allein bin. Ich erfreue mich stets an einer kleinen Unterhaltung, aber Sie sind jung und wären womöglich körperlich in der Lage, mich zu überwältigen. Daher kam eine Reihe von Abbauhämmern zum Einsatz.« Er wies auf den eingestürzten Felssteg. »Eine recht primitive Methode, das gebe ich zu, aber doch wirkungsvoll. Ich habe Seile, mit denen ich mich abseilen kann, wenn ich den Raum verlassen möchte. Doch im Moment ziehe ich es vor zu warten. Zumindest bis die Wächter entgegen meinen Anweisungen hierherkommen, um nach Ihnen zu suchen.« Er neigte den Kopf leicht zur Seite und lauschte dem Flüstern, das ihn umspülte. »Ja, sie haben bereits entdeckt, dass Sie nicht mit der Lore zurück zum Abstieg des Letzten gefahren sind. Es wird nicht mehr lange dauern, bis sie herausfinden, wohin Sie gegangen sind. Und dieses Mal, so denke ich, werde ich ihnen den Befehl erteilen, Sie hinzurichten. Wolfram wird sich natürlich um den eigentlichen Hieb kümmern, denn ich glaube, Blut fließen zu sehen dürfte einen Naruvaner vollkommen überfordern. Sind Sie nicht auch meiner Meinung?«
    Mark runzelte die Stirn. Warum schaute er sie nicht länger an?
    Mark bewegte sich instinktiv. Er sah Wolfram zwar nicht kommen, spürte aber einen Windhauch. Der alte Mönch machte einen Satz auf ihn zu, doch Mark warf sich zu Boden und rollte sich zur Seite. Er rief Lily

Weitere Kostenlose Bücher