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Das Land des letzten Orakels

Titel: Das Land des letzten Orakels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Whitley
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damit er die Kontrolle verliert. Und wenn nicht, tja …« Sie hob das Stuhlbein auf. »Zwei gegen einen, richtig?«
    Mark runzelte die Stirn. »Weiß er denn nicht bereits, was wir vorhaben? Ich meine, wenn er jedes gesprochene Wort hören kann …«
    »Und wenn schon«, sagte Lily entschlossen. »Selbst wenn er sich die Mühe macht, uns zu belauschen, meinst du, er schert sich wirklich darum? Er glaubt nicht, dass wir etwas unternehmen können, was ihm jetzt noch schaden könnte.«
    »Wie sollen wir überhaupt an ihn herankommen?« Mark wies auf den dicken Vorhang, der den Höhleneingang bedeckte. »Du hast doch nicht vergessen, dass dort draußen Wächter stehen?«
    Lily sinnierte einen Moment. Ihr Blick schweifte über die Gestalt, die auf dem Boden saß und ins Leere starrte. Ein seltsamer Ausdruck huschte über ihre Gesichtszüge. Er war geradezu boshaft.
    »Vielleicht kann ich ja doch ein wenig Unterstützung von meiner Familie bekommen …«
    Mark und Lily rannten den Stollen entlang. Hinter sich vernahmen sie immer noch die gellenden Schreie der Wächter.
    Mark konnte es nach wie vor kaum fassen, dass Lily ihre eigene Mutter in die Arme der Wächter geschubst hatte. Das Orakel hatte keinen Widerstand geleistet, schien kaum mehr den Willen zu haben, sich mit eigener Kraft zu bewegen, taumelte jedoch gerade weit genug vor, um die Wächter zu alarmieren. Kaum waren diese abgelenkt, riss ihnen Lily die Schutzmasken vom Gesicht, und Mark bespuckte sie.
    Er kam sich zwar vor wie ein Tier, aber der Trick hatte funktioniert. Die Wächter waren zwar mehr an Körperkontakt gewöhnt als normale Naruvaner, fuhren sich aber dennoch mit den Händen übers Gesicht, als wäre es von Säure verätzt worden. Nun jagten sie hinter ihnen her, doch die Stollen in diesem Bereich waren so verästelt, dass ihre Rufe schon bald in der Ferne verhallten.
    »Wenn wir überleben und den Leuten hiervon erzählen, lassen wir das mit der Flucht lieber aus«, keuchte Mark, während sie weiterrannten. »Besonders heldenhaft war das nicht.«
    »Das ist jetzt nicht die Zeit für Heldentum«, erwiderte Lily schwer atmend. »Ich glaube, zum Thronsaal des Orakels geht es hier entlang …«
    Sie stürzten in einen weiteren Stollen, der nur spärlich beleuchtet war. Das Licht von den in die Wand eingelassenen Kristallen leuchtete schwach und blass, und je weiter sie kamen, desto dunkler wurde es. Sie liefen an Naruvanern vorbei, die sich an den Seiten der Stollen zusammengedrängt hatten und die verblassenden Kristalle entsetzt anstarrten. Doch sie hatten keine Zeit, um stehen zu bleiben und Fragen zu stellen. Sie brauchten ihr Tempo nicht zu verlangsamen, um zu wissen, dass etwas nicht stimmte.
    Urplötzlich und unvermittelt standen sie im richtigen Stollen. Mark erkannte die in den Boden gehauenen Stufen wieder. Nun befanden sie sich nahe der Kammer des Orakels. Außerdem fiel ihm auf, dass hier keine Wachen postiert waren. Das war sonderbar. Snutworth würde sich doch gewiss nicht schutzlos hier aufhalten? Mark verdrängte den Gedanken. Sie mussten weiter, mussten rasch weiter, denn wenn sie stehen blieben, würden sie Zeit haben, um zu begreifen, dass sie gar keinen Plan hatten. Sie hatten keine Ahnung, was sie erwartete.
    Vor ihnen öffnete sich der Stollen zu dem Vorraum. Der Vorhang war teilweise zur Seite geschoben worden, und das sonderbare, flackernde Licht dahinter erleuchtete den Raum. Lily blieb abrupt stehen, und Mark wäre beinahe über sie gefallen. Sie wechselten Blicke. Alles, was sie hören konnten, war ihr eigener, in Stößen gehender Atem. Mark schluckte. Nun war der Moment gekommen.
    Als er Lilys Blick begegnete, wollte er etwas Beruhigendes sagen. Sie zuckte mit den Schultern, wissend, dass es nichts dergleichen gab.
    »Nun denn«, drang Snutworths Stimme durch den Vorhang und hallte im Vorraum wider. »Was für ein Vergnügen. Bitte, treten Sie doch ein.«
    Fast unbewusst nahmen Mark und Lily einander an der Hand. Gemeinsam schoben sie den Vorhang dann ganz beiseite und traten in die Kammer des Resonanzthrons.
    Die Höhle hatte sich irgendwie verändert. Der lang gezogene Felssteg, sich über den zerklüfteten Wald aus kristallenen Stalagmiten erstreckend, die allesamt im Halbdunkel weit unter ihnen glitzerten und funkelten, war zwar nach wie vor beeindruckend. Doch als das Orakel hier gesessen hatte, war die Atmosphäre geradezu mystisch gewesen; das Hohelied des Flüsterns hatte den Raum erfüllt, und in der Luft hatten

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