Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Land des letzten Orakels

Titel: Das Land des letzten Orakels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Whitley
Vom Netzwerk:
eine Warnung zu, doch sie bewegte sich ein wenig zu langsam. Als Mark wieder auf den Beinen war, zappelte sie bereits in Wolframs Griff. Nun sah Mark die dunkle Ecke am Eingang, wo Wolfram gewartet hatte, unter seiner Kapuze verborgen. Sie mussten direkt an ihm vorbeigegangen sein.
    »Wolfram«, sagte Snutworth beiläufig, »würden Sie freundlicherweise Miss Lilith bedrohen?«
    Wolfram wirbelte herum, fegte Lily mit einer schwungvollen Bewegung seines Beins von den Füßen und zog Snutworths Gehstock hervor, genauer gesagt die darin verborgene Klinge. Er hielt sie ihr an die Kehle.
    »Danke«, sagte Snutworth liebenswürdig. »Würden Sie, Mark, sich nun bitte nicht Vater Wolfram nähern, sonst wird Miss Lilith ins Jenseits befördert.«
    Mark blieb abrupt stehen. Irgendetwas war hier merkwürdig. Wolfram hielt die Klinge zwar ruhig, doch Mark erkannte, dass der Mönch unter seiner Kapuze die Lippen zusammenpresste und diese blutleer waren.
    »Bitte nicht gaffen, Mr Mark«, rügte Snutworth. »Ich glaube, Vater Wolfram ist im Moment ein wenig seltsam zumute. Aber ich kann Ihnen versichern, dass dies keinen Einfluss auf seine Effektivität haben wird.«
    Mark versuchte Snutworths Anwesenheit auszublenden. Er war bloß eine Stimme – er konnte sie nicht erreichen. Wolfram hingegen stand genau vor ihm. Er fing Lilys Blick auf. Trotz allem sah er immer noch den Funken Neugier darin.
    »Was ist geschehen, Wolfram?«, fragte sie.
    Wolfram biss weiter die Zähne zusammen, und seine Gesichtszüge blieben unter der Kapuze seiner Ordenstracht verborgen.
    »Vater Wolfram steht im Begriff, eine für mich recht nützliche Aufgabe zu erfüllen«, sagte Snutworth nachdenklich. »Er wird ein Projekt in die Wege leiten, das ich schon seit langem vorbereitet habe, und eine Reihe von Informationen an meine Agenten in Agora übermitteln. Es sind anspruchslose Männer, dazu ausgebildet, kein Aufsehen zu erregen. Einige von ihnen sind gebürtige Agoraner, die meisten jedoch Mitglieder des gisethischen Ordens. Wolfram rekrutiert sie bereits seit einiger Zeit in Giseth, und ich muss sagen, ich bin sehr zufrieden mit ihrer Arbeit. Sie sind es gewohnt, Befehle zu befolgen, ohne Fragen zu stellen – ihr Vertrauen ist bemerkenswert. Sie werden die richtigen Geheimnisse in die richtigen Ohren flüstern, werden einige Menschen beschämen und andere beflügeln. Ansehen wird ruiniert werden, die von mir Erwählten werden befördert, und meine Herrschaft wird sichergestellt. Und all das ohne die Notwendigkeit, diesen Thron zu verlassen.« Er machte es sich bequem. »Ich muss zugeben, dass einiges von dem, was ich in den wenigen Stunden auf diesem Thron erfahren habe, einen Widerwillen in mir hat aufkommen lassen, zu den Ländern oben zurückzukehren. Was die Menschen alles denken, wenn sie allein sind! Es gibt hässliche kleine Geheimnisse, dunkle Begierden. Und doch, im richtigen Moment enthüllt, sind sie so nützlich …«
    Marks Augen weiteten sich. »Was hat er Euch gesagt, Wolfram?«, wollte er wissen.
    Wolfram zuckte, gab aber keine Antwort. Die Spitze der Klinge schwebte dicht über Lilys Kehle.
    »Was immer es war, es war eine Lüge«, erklärte Lily mit fester Stimme. »Er belügt alle …«
    »Nein, Miss Lilith«, sagte Snutworth nachdrücklich. »Ich lüge nicht, ganz im Gegenteil. Lügen sind nie eine so mächtige Waffe wie die Wahrheit.« Er lächelte. »Sie suchen schon Ihr ganzes Leben lang ›die Wahrheit‹, und hat es Ihnen außer Leid und Schmerz etwas eingebracht?«
    »Was denn? Wollen Sie behaupten, Sie würden so etwas wie eine perfekte Welt einführen?«, fauchte Lily. Als die Klinge noch ein wenig näher rückte, hielt sie prompt den Atem an.
    Snutworth machte eine lässige Handbewegung. »Nicht im Geringsten. Aber ich glaube nicht, dass meine Welt schlimmer wäre als diejenige, welche die Menschen selbst zustande bringen könnten. Und meine Welt wird zumindest nach einem Plan entstehen. Unsere Länder wurden nicht dafür geschaffen, sich selbst zu verwalten. Sie sind nicht natürlich gewachsen. Sie brauchen eine leitende Hand, sonst versinken sie im Chaos.«
    »Und Sie glauben, Sie sollten derjenige sein, der uns leitet?«, sagte Lily mit vor Verachtung triefender Stimme. »Dann bin ich lieber für das Chaos.«
    »Das sagen Sie.« Snutworth lehnte sich vor. »Das Traurige ist, dass Sie wirklich daran glauben, das alles für ein übergeordnetes Wohl zu tun. Aber ich habe dem Hohelied gelauscht, Miss Lilith. Ich kenne all

Weitere Kostenlose Bücher