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Das Land des letzten Orakels

Titel: Das Land des letzten Orakels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Whitley
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Sie. Beginnen Sie mit Ihrer Arbeit.«
    Zu Marks Überraschung rührte sich Wolfram nicht. Er stand einfach nur mit gesenktem Kopf da. Es war unmöglich, sein Gesicht im Schatten der Kapuze auszumachen, doch Mark w ar davon überzeugt, dass er die Spitze der Klinge anstarrte.
    »Haben Sie mich verstanden, Vater Wolfram?«, fragte Snutworth leicht irritiert. »Es ist Zeit, den großen Plan zu verfolgen – die Geheimnisse zu benutzen, die ich Ihnen verriet. Vergessen Sie die Kinder. Welchen Schaden können sie uns schon zufügen?«
    Nach wie vor regte sich Wolfram nicht, hob nicht einmal den Kopf. Mark riskierte einen Blick auf Lily. Er sah, dass ihr eine Schweißperle den Nacken hinunterlief. Wolframs Reglosigkeit war zermürbend, und er stand zwischen ihnen und dem Ausgang.
    »Ich habe Ihnen einen Befehl erteilt, Wolfram«, sagte Snutworth in nach wie vor verhaltenem Ton. »Ich verstehe das Verlangen nach Rache, aber Sie müssen Ihre Pflichten erfüllen.«
    »Nein«, sagte Wolfram. Seine Stimme klang ruhig, doch sie krächzte, wie Mark es noch nie gehört hatte.
    Dann zog er seine Kapuze zurück.
    Mark erstarrte und sah, dass Lily einen Schritt zurücktrat. In dem unruhigen Licht der Höhle lag ein Großteil von Wolframs faltenreichem Gesicht im Dunkeln. Doch das, was er sehen konnte, reichte. Einen solchen Ausdruck hatte er noch nie auf dem Gesicht eines Menschen gesehen. In ihm spiegelte sich keinerlei Gefühl wider. Keine Wut, keine Furcht, nicht einmal die Wolfram eigene Miene fester Entschlossenheit. Und als er sprach, klang seine Stimme hohl und dumpf.
    »Diese Dinge, von denen Sie mir erzählt haben«, krächzte er, ohne den Blick von dem Degen abzuwenden, »diese Geheimnisse, die Sie weitergegeben haben … Das wird nicht funktionieren. Das kann es nicht, denn sie können nicht wahr sein …«
    »Sie sind es, Wolfram«, entgegnete Snutworth. »Wort für Wort.«
    Tief in sich verspürte Mark eine vertraute, aber unerwünschte Gegenwart. Der Alptraum lauerte ganz in der Nähe, in jedem Flüstern des Hohelieds. Doch er verhielt sich anders als sonst. Dieses Mal war er nicht an ihm oder an Lily interessiert.
    »Sie können nicht wahr sein«, sagte Wolfram, dessen Stimme nun lauter wurde. »Denn wenn sie es wären, wären diese Menschen, die zu beherrschen Sie anstreben, unserer Aufmerksamkeit nicht wert. Sie wären das Leben nicht wert.« Er atmete schwer, und seine Stimme veränderte sich, war nun erfüllt von Hass. »Ich dachte, ich kenne alle Schlechtigkeit; ich habe mich ihrer bedient. Ich wusste, warum Sie die Kontrolle übernehmen und Ordnung in diese bestialische Welt bringen wollten, und ich habe Sie dabei unterstützt. Aber ich hatte es nicht wirklich begriffen.« Am ganzen Körper angespannt trat er vor. »Erst als Sie es mich begreifen ließen, Direktor. Erst als Sie mir zeigten, zu was die Menschen fähig sind. Welche geheimen Gedanken den Menschen durch den Kopf gehen.« Mark spürte den Alptraum dick in der Luft wabern, und durch ihn hindurch war erneut Wolframs Stimme zu vernehmen, tief, laut und gebrochen. »Sie haben mir gezeigt, dass es keine Wahrheit gibt. Im Geist der Menschen gibt es keine wahre Tugend, keine Liebe, keinen Glauben, keine Pflicht. Alles ist verdorben, vermischt mit Lügen und Handlungen, die schlimmer sind … viel, viel schlimmer. Mit Dingen, die sie denken und tun, wenn die Welt sie nicht sehen kann …« Der Zorn ließ Wolframs Stimme anschwellen. »Ich wollte den Menschen eine bessere Welt erschaffen. Für Sie habe ich mich von meiner Kirche losgesagt, damit Sie Herr über diese Menschen werden und sie von ihren niederen Gelüsten befreien können. Aber jetzt weiß ich, dass die Menschheit es nicht wert ist, überwacht zu werden.« Angewidert verzog er das Gesicht. »Wir sind schmutzig und schlecht, und wir müssen geläutert werden. Einer nach dem anderen.«
    Wolfram sprintete los.
    Lily hatte keine Zeit zu reagieren. Der Mönch rannte auf sie zu und riss den Degen wieder an sich. Er griff nach ihr, doch sie entwand sich ihm, schlüpfte unter seinem Arm hindurch, kurz bevor der Degen durch die Luft schnitt. Er wirbelte herum und stürzte sich erneut auf sie. Dann fiel sein Blick auf Mark, der wie gelähmt dastand.
    Mark drehte sich um und wollte davonlaufen, doch es war zu spät. Wolfram packte ihn an der Schulter und riss ihn zurück. Verzweifelt setzte sich Mark zur Wehr, trat und schlug um sich, doch der Mönch schien seine Schläge kaum wahrzunehmen. Er verstärkte

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