Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Land des letzten Orakels

Titel: Das Land des letzten Orakels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Whitley
Vom Netzwerk:
»Aber Sie, Sie sind leer. Sie sind bloß ein kleiner Junge, der nicht weiß, wann das Spielen zu Ende ist.«
    »Für Sie bleiben nur noch tote Gedanken, Snutworth«, sagte Mark, dessen Stimme die Kammer erfüllte. »Wir sind nicht mehr Ihr Spielzeug. Die Welt ist Ihnen über den Kopf gewachsen.«
    Das Hohelied schrie auf.
    Eine Million Echos erfüllten die Luft, hektisches, sinnloses Geflüster. Mittlerweile vibrierte die ganze Höhle. Und inmitten von allem erhob sich Snutworth ruckartig von seinem Thron, als hätte dieser ihn verbrannt.
    »Helfen Sie … mir …«, sagte er so leise, dass Mark ihn kaum hören konnte. Doch es war zu spät.
    Von der Decke stürzten große Stalaktiten herab und rissen weitere Teile des Stegs mit sich in die Tiefe. Plötzlich wieder bei Sinnen schaute sich Snutworth entsetzt um. Über ihm ertönte ein grässliches splitterndes Geräusch.
    »Der Mittelpunkt!«, schrie Lily. Mark blickte hoch. Nun vibrierte der Mittelpunkt selbst, stärker, immer stärker, bis die ganze Felskammer in Schwingungen geriet. Jeden Moment würde sie einstürzen. Lily und Mark krochen zurück, während der Steg unter ihnen zerbröckelte und Snutworth, hektisch nach einem Ausweg suchend, in alle Richtungen schaute.
    Es gab keinen. Die Spalte, die er selbst hatte schaffen lassen, war zu breit. Zu breit, als dass Snutworth hätte entkommen können, selbst wenn er das Seil benutzt hätte. Und zu breit, um darüber zu springen. Mark, der im Eingang stand, beobachtete den Moment, in dem Snutworth dies realisierte. Er sah das Begreifen in seinen Augen.
    Dann drehte sich Snutworth um und setzte sich wieder hin.
    Sanft ließ er die Hände auf den Lehnen des Resonanzthrons ruhen.
    Er lächelte. Es war ein Lächeln, das sich tief in Marks Erinnerung einbrennen sollte. Es sah so aus, als wäre er nun endlich im Frieden mit sich.
    Der Mittelpunkt zerbarst.
    Die Höhle des Orakels stürzte ein.
    Dunkelheit breitete sich aus.

KAPITEL 28
    Das Urteil
    Lily musste durch den ganzen Staub in der Luft husten.
    Sie versuchte sich aufzurichten, doch auf ihrer Brust lastete ein erdrückendes Gewicht, und ihr fehlte die Kraft. Nach wie vor nach Luft ringend verdrehte sie ihren Arm und versuchte sich aus dem Schutt zu befreien. Dabei stieß sie auf etwas, das sich wie eine Hand anfühlte. Sie drehte den Kopf und blinzelte, um den Sand aus den Augen zu bekommen. Sie erkannte Mark, der auf dem Bauch lag und halb unter losem Felsgestein begraben war. Allzu übel zugerichtet sah er nicht aus, war allerdings von Staub bedeckt. Sie hatten Glück gehabt, dass sie im Eingang gestanden hatten, als die Kammer einstürzte, sodass ihnen das Schlimmste erspart geblieben war. Snutworth hingegen …
    Sie hatte gesehen, wie der größte Stalaktit auf ihn herabgestürzt war.
    Er war tot. Und das Hohelied war mit ihm gegangen. Zum ersten Mal, seit sie in Naru war, hörte sie einzig und allein ihren eigenen Herzschlag.
    Neben ihr regte sich nun auch Mark. Er hob den Kopf und lächelte zaghaft. »Tja … funktioniert hat es«, sagte er matt. Er stemmte sich auf die Ellbogen und blickte zurück auf den ehemaligen Eingang zum Thronsaal. Unter dem Schutt ragte ein kleines Stück des zerfetzten Vorhangs hervor. Er runzelte die Stirn. »Das war es dann, oder?«
    Lily nickte bedächtig. Es fühlte sich nicht wirklich wie ein Sieg an, das musste sie zugeben.
    »Meinst du, wir hätten … ich meine …« Mark zögerte. »Wolfram … Snutworth … Haben wir die beiden gerade getötet?«
    »Wolfram war verrückt«, erwiderte Lily mit zitteriger Stimme. »Wenn wir gezaudert hätten, hätte er uns beide umgebracht. Und Snutworth hatte sich selbst dort drüben isoliert; das hat er sich alles selbst zuzuschreiben.«
    »Schon …«, sagte Mark. »Aber …«
    »Wir mussten seine Verbindung zum Hohelied kappen«, sagte Lily, ihr plötzliches Schuldgefühl ignorierend. »Wir konnten nicht ahnen, dass dadurch die ganze Felskammer einstürzen würde.«
    Mark begegnete ihrem Blick. »Nicht?«, fragte er.
    Lily schaute weg. In Wahrheit waren sie sich beide bewusst gewesen, dass diese Möglichkeit bestand. Sie beide konnten sich daran erinnern, was geschehen war, als das Orakel aus dem Gleichgewicht geraten war; ganz Naru hatte gebebt. Lily seufzte. Sie glaubte nicht, dass der Tod der beiden sie um den Schlaf bringen würde. Sie hoffte nur, dass kein Naruvaner dabei zu Schaden gekommen war.
    »Wegen Snutworth mache ich mir keine Gedanken«, gab Mark zu. »Doch Wolfram … er

Weitere Kostenlose Bücher