Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02
Bemühen, den Schmerz zu verleugnen; seine Lippen teilten sich, um einen Befehl zu geben.
Mein Rasiermesser, meine Stiefel, ein Stuhl, der Blasebalg …
Alysse sagte: »Etwas, egal was, aus dem Land der Toten mitzubringen, stört die natürliche Ordnung der geheiligten Landschaft.«
Die Barriere zwischen den Lebenden und den Toten verkam … die Fäden des Netzes zerrissen und zerstört …
Leben erhalten, Leben erhalten …
»Feuer«, keuchte der Junghäuptling.
Aber ich hatte mich bereits umgewandt, die Arme um Tom und seine Last geworfen, mir fest auf die Zunge gebissen und meinen Willen bekundet.
Niemand hatte je zu mir gesagt, was es damit auf sich hatte, etwas ins Land der Toten mitzunehmen. Mit Tom, Jee und Stephanie in den Armen betrat ich den Pfad der Seelen.
46
Dunkelheit …
Kälte …
Erstickender Dreck in meinem Mund …
Aber nicht nur in meinem. Es war, wie es gewesen war, als ich Kauz zurückgeholt hatte, als ich Cecilia und die Armee der Blauen mitgebracht hatte, und es überraschte mich kaum, dass es sich genauso anfühlte, wenn man in der anderen Richtung unterwegs war. Neben mir waren Tom und Jee und die Prinzessin Gefangene der Erde, quollen über vor Würmern, und obwohl ihre fleischlosen Knochen sich genauso wenig bewegen konnten wie meine, spürte ich sie auf irgendeine Weise, sie und ihre zungenlosen Schreie. Das ging lange Zeit so, und sogar noch länger. Dann waren wir durch und kullerten auf den Boden im Land der Toten.
Mit großem Gebrüll machte sich Tom von mir los, Jee ließ er fallen. Stephanie klammerte sich noch an Tom, das Gesicht an seinem Hals vergraben. Ich stolperte auf das farblose Gras, verblüfft von dem, was ich getan hatte– und dann war ich nicht ganz sicher, was ich eigentlich getan hatte.
Mein eigener Körper war zurückgeblieben im Land der Lebenden, wie immer. Aber hatte ich diese drei wirklich körperlich hierhergebracht, oder lagen ihre Körper tot auf der anderen Seite, sodass sie nun jeden Augenblick die geistlose Ruhe der Toten überkommen würde?
»Wohin sind alle gegangen?«, brüllte Tom. »Was haben diese Pisspötte getan? Verdammt, da ist der Berg, der wie ein Amboss geformt ist, als hätten wir uns gar nicht bewegt, aber wo beim verdammten Kackhaufen ist das Zelt? Wo ist die Armee? Wo sind wir?«
Ich hatte noch nie jemanden gesehen, dem Ruhe ferner gelegen hätte.
Die Landschaft sah mehr nach ihrem ursprünglichen Zustand aus, wie in der Zeit, bevor die Nebel angefangen hatten sich zu bilden. Als ich zum letzten Mal den Pfad der Seelen betreten hatte, hatte ich eine summende, dichte, dunkle Schwade und einen Kreis aus zehn Toten gesehen, der sich in den Wirbeln eines Mahlstroms verloren hatte, bis er sich in reine Macht für das Seelenrankenmoor verwandelt hatte und wie durch einen Trichter dorthin geflossen war. Anschließend hatte das Land der Toten seine frühere Ruhe wieder angenommen, und so schien es auch jetzt. Wir standen auf demselben westlichen Berghang wie im Land der Lebenden, mit derselben Wiese und den Bäumen und Felsen und dem Flusstal unterhalb, aber alles andere war fort. Keine Zelte. Keine Feuer. Kein Junghäuptling mit seinen Hauptleuten und Soldaten. Keine Gewehre, die auf uns gerichtet waren. Nur ein paar verstreute Tote, die still dort saßen, wo sie einst gestorben waren.
Und die drei, die bei mir waren, glitten nicht in den Ruhezustand der Toten hinüber.
Von Toms Schulter aus erspähte Stephanie ihre Amme. Sie stieß einen lauten Schrei aus und wand sich so heftig, dass sie Tom entkam. Die Prinzessin lief zu ihrer Nana, und es war Jee, der mit ihr rannte. Jee, der wusste, was ich war und wo wir uns befanden, was die anderen nicht wussten.
»Meine Dame, meine Dame…«, hörte ich ihn murmeln, und was immer er sonst noch zu Stephanie sagte, wurde von Toms Brüllen übertönt.
»Peter! Wohin ist alles verschwunden? Verdammt, ich dachte, wir wären tot! Diese Gewehre …«
Die tote Amme kam ihm ins Bewusstsein. Er hielt inne, runzelte die Stirn, blickte mich hilflos an. »Peter…«
»Tom«, sagte ich, »setz dich.« Denn er hatte angefangen zu zittern, dieser furchtlose Hüne, den ich nie zuvor hatte zittern sehen.
Er blieb stehen. »Peter«, sagte er, und nun war seine Stimme zu einem Flüstern gesenkt, »die Amme ist gestorben. Sind wir… sind wir alle tot?«
»Sie schon, du nicht«, sagte ich. »Tom, setz dich.«
Das tat er, setzte sich im Schneidersitz auf das Gras, und auf einmal erinnerte er mich an
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