Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02
aufbringen konnte. »Wie sollen wir das Gasthaus nennen?«
»Ich dachte, vielleicht Roter Eber.« Sie deutete auf die Webarbeit, die, wie ich jetzt sah, einen mit roter Wolle gestickten Eber zeigte.
»Gut.«
»Außer, dir ist etwas anderes lieber.«
»Nein, es ist gut.«
»Wenn dir etwas anderes lieber ist, Peter, sag es einfach.«
»Es ist gut!« Nun hör damit auf!
»Gut. Dann lass mich dir etwas zeigen.« Sie ging in die Küche und kam einen Augenblick später mit einem Holzschild zurück, auf das ein roter Eber gemalt war, und darunter standen die Worte »Roter Eber«.
Ich kann lesen. Maggie hat es mir beigebracht. Ich erkannte ihre schwungvollen Buchstaben aus den geduldigen Unterweisungen wieder, die sie mir an Winternachmittagen gegeben hatte. Sie hatte dieses Schild angefertigt, ehe wir überhaupt darüber gesprochen hatten.
Sie sagte: »Jee hat das Bild gemalt. Ich wusste nicht, dass er das so gut kann; und er genauso wenig. Glaubst du, du könntest eine Halterung machen und es über die Tür hängen?«
»Ja.«
»Heute?«
»Ja.«
»Heute Vormittag?«
»Ja, ja, ja!«
Maggie war nicht begriffsstutzig. Sie sagte leise: »Du denkst, dass ich dich dränge.«
Sie drängte mich. Aber der Fehler lag nicht bei Maggie. Der Fehler lag bei mir, auf irgendeine verborgene Weise, die ich nicht verstand. Der Fehler lag bei diesem Leben.
»Es tut mir leid, Maggie«, sagte ich, und ich meinte es auch. »Es ist ein vollkommenes Schild, und ich werde es heute Vormittag aufhängen.« Ich ging um den Tisch und tat etwas, das ich nur selten tat: Ich küsste sie auf den Kopf. Sie regte sich nicht. Ehe sie nach mehr verlangen konnte– oder darum bitten, es erzwingen oder darum streiten–, war ich durch die Tür gegangen, Schatten auf den Fersen.
Katzenpisse! Ich hatte nicht mehr als ein paar Bissen von ihrem reichhaltigen Frühstück gegessen.
Ich brachte die Schafe zu ihrer üblichen Weide, nachdem ich zuerst Schatten im Hof angebunden hatte. Zehn Minuten nachdem wir gegangen waren, kam mir Schatten hinterhergesprungen, sein Seil war entzwei. Mir war nicht klar gewesen, dass der Hund so stark war. Sofort fingen die Schafe an, schrille, entsetzte Geräusche von sich zu geben.
»Du bist ein böser Hund«, sagte ich zu Schatten, der mit dem Schwanz wedelte.
Ich band ihn mit dem, was von seiner Leine übrig war, an einen Baum und brachte die Schafe weit genug weg, dass sie zu blöken aufhörten. Ein paar Minuten später zerriss Schatten sein Seil und raste uns nach. Das jüngere Schaf brach aus, und wir rannten ihm beide hinterher, die anderen blieben blökend zurück. Ich fiel über eine Lorbeerwurzel. Schatten erwischte das Schaf, indem er ihm auf den Rücken sprang.
»Nein! Schatten! Nein!« Er würde das Schaf zerfleischen, es töten, es fressen– ich kam stolpernd auf die Füße.
Aber der Hund hatte dem Schaf nichts getan. Er stand beiläufig daneben, und jedes Mal, wenn sich das dumme Tier bewegte, bewegte sich auch Schatten, um ihm den Fluchtweg abzuschneiden. Ich blinzelte. Ich hatte schon gesehen, wie Hunde Schafe hüteten, aber nicht bei Schattens Rasse– welche auch immer es war. Und gestern hatte er dieses Verhalten nicht gezeigt.
Die Schafe blökten und jammerten noch. In diesem Geisteszustand– falls die tumben Dinger überhaupt einen Geist hatten– würden sie nicht fressen. Ich seufzte, führte das entwischte Schaf zurück zu den anderen, warf mir sein Lamm über die Schulter und machte mich auf den Weg zurück zum Gasthaus. Der Rest meiner kleinen, hungrigen Herde folgte mir. Ein weiterer sinnloser Ausflug. Und was mich erwartete, schien mir genauso sinnlos. Den Hühnerstall sauber machen. Das Unkraut im Garten jäten. Das neue Schild aufhängen. Bei der Wäsche helfen.
Nur kam es dazu gar nicht. Ich betrat das Gasthaus durch die Küche. Maggie war nicht da. Sie und Jee standen im Schankraum, beide starrten den Kamin an. Maggie deutete auf etwas. Ein Felsbrocken lag auf den kalten Steinen des leeren Kamins.
»Es… es ist den Kamin herabgekommen«, flüsterte Maggie. Ihr Gesicht war so weiß wie ihr Kittel geworden. »Vor einem Augenblick. Und… es war niemand auf dem Dach.«
Jee klammerte sich an Maggies Röcken fest, als wäre er fünf Jahre alt, nicht zehn.
Behutsam näherte ich mich dem Stein. Es war eine vollkommene Scheibe, eine ganze Handspanne breit im Durchmesser und oben und unten abgeflacht, und sie lag schwer in meiner einzigen Handfläche. Soweit ich sehen konnte, wies
Weitere Kostenlose Bücher