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Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02

Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02

Titel: Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kendall
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vorhatten.
    Ich war an einen breiten, flachen Stein gefesselt, das Gesicht nach oben dem sternenerleuchteten Himmel zugewandt. Die Seile, die mich hielten, führten rund um den Stein. Jemand hatte die Trommel nach draußen gebracht, und nun fing der Trommler mit einem langsamen, stetigen Rhythmus an: bumm bumm-bumm-bumm buuuum. Einer nach dem anderen kamen die älteren Männer und Frauen, mittleren Alters oder älter, zu mir her und starrten mir tief in die Augen. Das Fackellicht warf seltsame Schatten auf ihre Gesichter. Und ihre Augen waren grün.
    »Ich danke dir für dein Fleisch«, sagte jeder feierlich, »das mir die Kraft deiner Seele gewähren wird.«
    »Euch wird gar nichts gewährt!«, schrie ich. »Ihr wisst es! Ihr wart im Land der Toten im dunklen Nebel– ihr wisst, dass ihr meine Seele nicht haben könnt!«
    Bumm bumm-bumm-bumm buuuum …
    Ich kniff die Augen zu, sodass sie mir nicht mehr hineinschauen konnten. Der Nächste öffnete sie mir gewaltsam.
    »Ich danke dir für dein Fleisch, das mir die Kraft deiner Seele gewähren wird.«
    »Aber ich bin ein Hisaf!«
    »Ich danke dir für dein Fleisch, das mir die Kraft deiner Seele gewähren wird.«
    Bumm bumm-bumm-bumm buuuum …
    Ich kämpfte gegen die Fesseln. Während mein Kopf von einer Seite zur anderen zuckte, sah ich ein Feuer neben dem Steinhaus brennen, und darüber hing ein großer Eisenkessel.
    Für mich.
    »Ich danke dir für dein Fleisch, das mir die Kraft deiner Seele gewähren wird.«
    Als mich die Leute vom Seelenrankenmoor verließen, betraten sie alle das runde Haus. Ein Geruch trieb von drinnen zu mir her, süß und stechend. Ich hatte dieses Pulver schon gerochen, das man aufs Feuer warf, vor zwei Jahren, als ich in diesem steinernen Haus gesessen hatte, mich an Fleisch gütlich getan hatte… fettig und saftig…
    Auf einmal wurde ich ruhig. Dies war also mein Ende im Land der Lebenden. Es war für mich nicht anders als für jeden sonst; der Tod muss uns alle holen. Und wenn ich im Land der Toten in die geistlose Ruhe hinüberglitt, würde ich zumindest von den Erinnerungen und Träumen frei sein, die mich quälten. Aber wenn ich dem Tod nicht entfliehen konnte, so konnte ich zumindest den Schmerzen des Sterbens entfliehen.
    Der alte Mann mit dem weißen Bart und Cecilias grünen Augen war der Letzte, der zu mir kam. Er hielt ein langes, gebogenes Messer mit einem geschnitzten Holzgriff in der Hand. Wir blickten einander an, und im flackernden Fackellicht konnte ich seltsame Formen tief in seinen Augen erkennen. Ich biss mir fest auf die Zunge und betrat beim nächsten Schlag der Trommel den Pfad der Seelen, ohne wegen des Versprechens zu zögern, das ich Fia gegeben hatte.
    Dunkelheit …
    Kälte …
    Erstickender Dreck in meinem Mund …
    Würmer in meinen Augen …
    Erde, die meine fleischlosen Arme und Beine umschloss …
    Dann war ich im Land der Toten, und der Trommelschlag hatte aufgehört. Es war das in Nebel gehüllte Hochlandmoor, die Schwaden noch dicker und dichter als zuvor. Blind stolperte ich vor, floh besinnungslos vor dem runden Steinhaus. Aber natürlich gab es hier kein Steinhaus. Nichts als den Nebel und die Kreise der Toten.
    Ich stieß beinahe sofort auf den ersten. Er war riesig, bestand womöglich aus dreißig Toten. Bald könnte ich einer von ihnen sein. Die Toten hielten sich bei den Händen, jeder Kopf war in undurchdringlichen, dunklen Nebel gehüllt.
    »Ihr seid Ungeheuer!«, rief ich, aber nicht zu den Toten. Zu wem dann?
    Ich stürmte zur Mitte des riesigen Kreises. Dort würde es einen summenden Nebel geben, eine Ansammlung von Zuschauern aus dem Seelenrankenmoor, bestehend aus den Männern und Frauen, die nun in dem runden Steinhaus saßen. Die die Droge einatmeten, die man aufs Feuer geworfen hatte. Die sich darauf vorbereiteten, sich an meinem Fleisch gütlich zu tun. Ich konnte sie im Land der Lebenden nicht erreichen, aber hier würde ich… was? Ich wusste es nicht. Ich wusste nur, dass ein wahnsinniger Zorn in mir tobte, diesen Nebel zu zerstören, irgendwie darauf einzuschlagen, ihn…
    Im Mittelpunkt des Kreises war kein Nebel. Stattdessen saß dort eine einzelne Gestalt, und um sie herum hatte sich der Nebel zerstreut, wodurch ein klarer Bereich mit beinahe heller Luft zurückblieb. Die einzelne Gestalt war eine der Toten, und sie saß mit im Schoß gefalteten Händen da, im Schneidersitz, den Kopf leicht gebeugt.
    Es war meine Mutter.
    Schwindel erfasste mich. Einen Augenblick lang konnte

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