Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02
bereits, was Fia war.« Mutter Chilton verschränkte die Arme vor der Brust. Sie würde mir nichts schenken, um das ich mich nicht bemühte.
»Fia war… war…« Die Worte waren kaum aussprechbar, sogar kaum denkbar. Ich zögerte sie einen Augenblick hinaus, indem ich sagte: »Es gibt viele von Euch… Euch Frauen, die die Seelenkünste beherrschen. Nicht wahr?«
»Ja.«
»Wird die Fähigkeit von Mutter zu Tochter weitergegeben?«
»Manchmal. Nicht immer. Weder Caroline noch ihre Mutter hatten das Talent, aber ihre Großmutter hatte es.« Mit nach wie vor verschränkten Armen wartete sie darauf, dass ich bei meiner Frage ankam.
»Und Fia war eine von Euch?«
»Nein. War sie nicht.«
»Wer war sie dann?«
Mutter Chilton sagte nichts.
»Aber sie wurde… wurde aus dem Land der Toten zurückgebracht, richtig?«
»Ja.«
»Und nun gibt es sie nirgends mehr und niemals wieder?«
»Das stimmt.« Ein plötzlicher Schmerz trat auf Mutter Chiltons Gesicht, und ich erkannte, dass auch sie um Fia trauerte.
»Aber warum?«, schrie ich. »Warum sollte man ihr das antun? Warum?«
»Es wurde ihr nicht an getan, Roger. Sie hat sich dafür entschieden.«
»Die Toten können sich für nichts entscheiden! Sie sind immer ruhig! Ihr könnt mir nicht erzählen, dass…«
»Ich kann dir die Wahrheit erzählen«, behauptete sie, und ihre Fassung bekam Risse, »aber du willst nicht zuhören. Fia hat sich dafür entschieden, es zu tun, während sie noch im Land der Lebenden geweilt hat. Sie hat sich dafür entschieden, zu sterben und auf dem Pfad der Seelen zurückgeholt zu werden und wieder zu sterben im Kampf gegen jene Kräfte, die du nicht verstehen kannst. Sie hatte eine Aufgabe zu bewältigen, und das hat sie getan.«
Meine Knie gaben nach, und ich klammerte mich an den Stamm der Kiefer, um mich abzustützen. »Fia… Fia hat das getan, um mich dazu zu überreden, nicht mehr den Pfad der Seelen zu betreten?«
»Nein. Sei nicht so arrogant. Ehe sie gestorben ist, wusste Fia nicht einmal, dass es dich gibt.«
»Was hat sie dann… Sie ist ursprünglich aus dem Seelenrankenmoor gekommen?« Jene grünen Augen, so ähnlich wie die von Cecilia.
»Ja.« Mutter Chiltons Miene veränderte sich. Sie öffnete ihre verschränkten Arme, als würde sie zu irgendeiner Entscheidung kommen. Mir stockte der Atem in der Brust. Sie hatte sich entschieden, mir die Wahrheit zu sagen.
»Fia ist aus dem Seelenrankenmoor gekommen, aus Galtryf, dem Herzen des Feindes. Ich benutze dieses Wort mit Bedacht, Roger Kilbourn. Das Seelenrankenmoor ist der Feind von allem, was lebt. Fia hat gesehen, was dort geschah, und es ekelte sie an. Sie ist geflohen. Sie wollte eine der Frauen finden, die die Seelenkünste ausüben, und uns von den Plänen des Seelenrankenmoors erzählen. Sie kam tatsächlich bis zur Grenze der Unbeanspruchten Lande. So weit gekommen zu sein, während sie im Sterben lag…«
»Im Sterben?«
»Galtryf hatte sie vergiftet. Dort verabreicht man allen Jugendlichen eine stetige, niedrige Dosis eines Gifts, bis ihr Verstand umgarnt ist. Ohne das Gegengift in den Mahlzeiten, die Fia jeden Tag zu sich nahm, raffte die Krankheit sie dahin. Aber sie ging weiter, schleppte sich über die Grenze, wo niemand aus dem Seelenrankenmoor hingehen würde. Du weißt, weshalb.«
Ich wusste es. Jeder, der das Seelenrankenmoor verließ und versuchte zurückzukehren, würde denselben Tod erleiden, dem ich nur knapp entkommen war.
»Ein Junge hat sie in den Unbeanspruchten Landen gefunden. Ein unwissender Junge, nicht sehr intelligent. Aber ehe sie starb, hat Fia ihm das Versprechen abgenommen, einen Hisaf zu suchen, damit er sie auf dem Pfad der Seelen zurückbrachte. Der Junge hat es getan. Die Leute der Unbeanspruchten Lande, die meisten zumindest, haben noch Achtung vor den alten Wegen.«
Wie Jee. Ich konnte mir Fia vorstellen, wie sie voller Schmerzen starb, wie sie ihren letzten Wunsch einem groben, jungen Lümmel ins Ohr hauchte– der ihn ehren würde. Auch wie Jee.
»Du kannst dir den Rest denken«, sagte Mutter Chilton. »Ein Hisaf hat Fia zurückgeholt, und sie hat in den Seelenkünsten bewanderte Frauen gefunden, denen sie berichtete, was sie erfahren hatte. Dann, während des Rests der vierzehn Tage, die ihr noch blieben, wollte sie sich so nützlich wie möglich machen, und wurde zu dir gebracht, um dir dein Versprechen abzunehmen, nie wieder den Pfad der Seelen zu betreten. Ein Versprechen, das du gleich am nächsten Tag gebrochen
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