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Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02

Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02

Titel: Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kendall
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hast.«
    »Sie hat mich hereingelegt. Sie…«
    »Ich weiß, was sie getan hat«, sagte Mutter Chilton ernst. »Verstehst du es noch immer nicht, Roger? Das ist ein Krieg. Es ist viel, viel größer als deine nichtigen Sorgen. Und du musst dich heraushalten.«
    »Weshalb?« Es klang wie ein Aufheulen, und zwei Vögel in einem Busch in der Nähe flogen erschrocken auf. »Und ein Krieg gegen wen? Was hat das Seelenrankenmoor vor?«
    »Sie tun es schon«, sagte Mutter Chilton grimmig. »Hör mir zu. Die Toten bekommen im Lauf der Jahre, im Lauf der Jahrhunderte immer mehr Macht– wie könnte es anders sein? Selbst dumme Jünglinge wie du wissen, wie viel Macht der Tod hat. Du hast gute Gründe, es zu wissen. Alle nachdenklichen Männer und Frauen verbringen ihr Leben in dem Bewusstsein, dass sie eines Tages sterben werden, und dass überhaupt nichts, weder Reichtümer noch Schönheit noch Liebe, diese Macht abwehren kann. Und wenn der Tod sie schließlich vereinnahmt, geht auch ein Teil der Macht des Todes auf sie über. Die Macht der Toten gehört ihnen selbst– jedem Einzelnen, auch wenn sie in ihren Kreisen geteilt wird. Diese Macht wächst langsam wie eine riesige Eiche aus einem winzigen Samen, bis jeder der Toten bereit ist, sich davon in die Ewigkeit weitertragen zu lassen. Wenn es anders wäre, würde das Land der Toten viel, viel mehr Tote beherbergen, als es der Fall ist. Ist dir nie aufgefallen, dass keine Kleidung dort älter als ein paar hundert Jahre ist? Nein, natürlich ist es dir nicht aufgefallen, und in deinem Unwissen hast du vermutlich ohnehin keine Ahnung, welchen Zeiten man welche Kleider zuordnen kann.«
    Ich würde nicht zulassen, dass mich ihre Verachtung von meinen Fragen ablenkte. »Aber das Seelenrankenmoor…«
    »Das Seelenrankenmoor hat einen Weg gefunden, das Land der Toten aufzusuchen. Du hast die Männer und Frauen aus dem Moor dort drüben gesehen, oder nicht?«
    »Als einen dunklen, summenden Nebel. Aber ich habe gedacht, dass nur Hisafs den Pfad der Seelen betreten können.«
    »Ursprünglich, ja. Aber es gibt abtrünnige Hisafs, verdorben und selbstsüchtig, und einige von ihnen… Ich habe dir genug erzählt!«
    Ich hatte Mutter Chilton noch nie so besorgt gesehen. Ich hatte nicht gewusst, dass sie besorgt sein konnte. Sie bedeckte das Gesicht mit den Händen, und ihr ganzer Körper bebte. Der Anblick erschreckte mich; es war, als würde man einen Berg zittern sehen, oder eine Eiche weinen. Aber ich konnte nicht aufhören. Dies war meine einzige Gelegenheit zu erfahren, was ich so verzweifelt wissen musste.
    »Es ist nicht genug, Mutter Chilton. Wonach streben das Seelenrankenmoor und diese ›abtrünnigen Hisafs ‹? Erzählt mir mehr, oder ich werde Euch nichts versprechen.«
    Ihr Anfall endete so schnell, wie er begonnen hatte. Sie nahm die Hände vom Gesicht, und in den Schatten unter den Kiefern konnte ich nicht erkennen, ob Tränen auf ihrem Gesicht waren. War es also nur ein Schauspiel gewesen? Um mich zu rühren und so meinen Fragen ein Ende zu machen?
    Sie sagte einfach: »Sie versuchen, die Macht der Toten an sich zu reißen und damit ewig zu leben.«
    Ich starrte sie an, so entsetzt, dass es mir die Sprache verschlug.
    »Sie verwehren den Toten die Ewigkeit und nehmen sie in sich selbst auf. Auf diese Weise zerstören sie die Toten drüben, genauso wie du sie hier zerstört hast– Kauz und Cecilia und die Armee der Blauen. Verstehst du nun, was auf dem Spiel steht?«
    Den Toten die Ewigkeit verwehren. Ich dachte an jene großen Kreise, die Köpfe von dunklem Nebel verhüllt, der jeden Toten zum Beben brachte. Im Mittelpunkt jener Kreise summten die Wolken der Zuschauer aus dem Seelenrankenmoor. Aber den Toten die Ewigkeit zu verwehren…
    »Können sie das überhaupt?«, fragte ich.
    »Ja. Nein. Es lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, aber wir glauben, dass sie es können. Immerhin hast du Leuten hier in diesem Land ihre Ewigkeit verwehrt– weshalb sollte es in jenem anderen unmöglich sein?«
    Ich konnte nicht antworten.
    »Roger«, sagte sie, ruhiger jetzt, aber mit einer Dringlichkeit, der die Ruhe Vorschub leistete, »du darfst den Pfad der Seelen nicht mehr betreten. Ich habe dir schon einmal gesagt, dass du nicht nach deiner Mutter suchen sollst. Du darfst wirklich nicht mehr versuchen, sie zu finden.«
    »Ich habe sie gefunden«, sagte ich. Die Augen von Mutter Chilton wurden groß. Also wusste sie nicht alles, was ich getan hatte, oder alles, was im Land

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