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Das Land jenseits des Waldes, Band I

Das Land jenseits des Waldes, Band I

Titel: Das Land jenseits des Waldes, Band I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benedikt Altmann
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gewiss eine sehr praktische Herangehensweise.
    Darüber hinaus bestärkte der auf genau diese Art und Weise gemeinschaftlich durchgeführte tägliche Sunrise Walk so auch die Identifikation und das Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen den einzelnen Muldern von Haus Nummer Fünf . Man hatte miteinander so etwas ganz Besonders gemeinsam, mit dem man sich von den Muldern aus den anderen Häusern abgrenzen konnte. Insgesamt eine sehr gute Sache, so Jan weiter. Und wegen der nur sehr kurzen Laufstrecke rund um die Bepflanzung fasste dies auch niemand hier im Haus als Schikane auf.
    »Da du neu hier bei uns bist, nehmen wir auf dich natürlich Rücksicht, ganz klar«, schloss Jan dann seine Ausführungen. »Selbstverständlich brauchst du erst einmal nicht in der Unterhose antreten. Das werden alle von uns akzeptieren. Also zieh dir ruhig einen Traininganzug und eine Mütze an. Okay?«
    Knars nickte. Er war einfach so müde. Nicht seine Zeit so früh. Echt nicht.
    Jan hatte inzwischen seinen Schlafanzug gegen seine Unterhose von gestern getauscht, schnappte sich seine Zigarettenpackung und sein Feuerzeug und tapste hinaus auf den Flur in Richtung Feuertreppe. »Jetzt kannst du dich wieder in Ruhe umziehen. Bis gleich«, sagte er dabei noch in einer Höflichkeit, die direkt das Lohenmulder Leitbild wiederzuspiegeln schien.
    Nach kurzer Zeit schaute dann nochmals Phillip kurz durch die geöffnete Tür. Bereits bereit zum Sunrise Walk . Nur seine weiße Unterhose am Leib. Und eine Uhr am Handgelenk. Auf seinem rechten Oberarm erkannte Knars dagegen eine kleine Tätowierung. Das hätte er von Phillip eigentlich nicht erwartet. Zumal Tatoos oder gar Piercings hier in Lohenmuld generell unerwünscht waren. Diesbezüglich gab Phillip als Haussprecher also nicht unbedingt ein gutes Vorbild ab. Vielleicht handelte es sich dabei ja aber auch nur eine abwaschbare Variante, die wegen ihrer geringen Größe dann selbst unter einem knappen T-Shirt schon nicht mehr sichtbar war.
    »Also was ist? Kommst du?« fragte er Knars freundlich, denn der Sunrise Walk war eine Pflichtveranstaltung genauso wie das ausführliche gestrige Abendessen.
    »Ja sofort. Ich beeil’ mich«, antwortete Knars bedächtig und suchte seine Unterhose von gestern aus den Kleidern auf seinem Schreibtischstuhl heraus.
    Phillip ließ die Türe halboffen und ging den Korridor hinunter in Richtung Notausgang.
    Knars dagegen überlegte kurz. Wenn er den anderen Muldern aus seinem Haus nun signalisieren wollte, dass er von Anfang an wirklich zu ihnen gehören und diesbezüglich auch ernst genommen werden wollte, dann musste er natürlich jetzt über seinen eigenen Schatten springen und sich den hiesigen Sitten und Gebräuchen gleich anpassen. Ohne Schonfrist. Sofort am ersten Tag. Irgendwie schien es so, als ob genau dies auch von ihm erwartet wurde.
    Also auch Unterhose. Genauso wie auch alle anderen Mulder hier aus dem Haus.
    Der Trainingsanzug und die Mütze blieben im Schrank.
    Zügig legte Knars dann seine Schlafanzughose auf sein Bett und zog die Unterhose vom gestrigen Tag hoch. Die war ungewaschen nun wirklich nicht noch für einen weiteren Tag zu gebrauchen. Sie miefte und war voller Pisse vom Drogentest nach seiner Ankunft hier.
    »Westerholdt! Wir allen warten hier jetzt nur noch auf dich!« rief Herr Trietz draußen über den Gang. Und zum ersten mal spürte Knars hier in Lohenmuld so etwas wie Gruppendruck.
    Sofort verließ er daraufhin sein Zimmer und sprintete so schnell er in dieser frühen Stunde nur konnte den Gang hinunter in Richtung der Notausgangstür, die direkt hinaus ins Freie führte. Dort wartete schon Herr Trietz. Die anderen Mulder waren ganz offenbar schon die so genannte Feuertreppe hinunter in den nordwestlichen Garten von Schloss Lohenmuld gestiegen.
    »Na, Westerholdt?« wurde Knars von seinem Hausvorstand mit leicht säuerlicher Miene und in überheblicher Tonlage begrüßt. »Was führt dich her aus Wittenberg?«
    Doch hier hatte Herr Trietz diesmal Pech. Knars erkannte trotz der gottlos frühen Stunde sofort das verpackte Hamlet Zitat in Herrn Trietz’ Frage. Manchmal waren die staatlichen Lernfabriken, an denen Knars seine bisherige Schulzeit verbracht hatte, eben doch nicht ganz nutzlos.
    »A truant disposition, Sir«, konterte Knars dann mit dem Originalzitat aus Hamlet [ActI, Scene2, Line 169], das man nur sehr schwer ins Deutsche übertragen konnte, ohne den Sinn zu verdrehen.
    Herr Trietz schien beeindruckt. Hatte der

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