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Das Land jenseits des Waldes, Band I

Das Land jenseits des Waldes, Band I

Titel: Das Land jenseits des Waldes, Band I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benedikt Altmann
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Herr Trietz heute am Vormittag ja unlängst so ausdrücklich gewarnt hatte? Allzu viel zu erzählen gab es heute ganz im Gegensatz zu gestern nicht. Aber nach dem heutigen, sehr ereignisreichen Tag verstanden sie sich auch ohne viele Worte. Geheimnisse gab es nun ja fast keine mehr zwischen ihnen. Zumindest von Knars’ Seite aus.
    Bevor er sich schlafen legte, blicke Knars noch kurz aus dem Fenster. Im Gegensatz zur gestrigen Nacht hatte es heute weit weniger Nebel, der über der Schloh , dem großen See unterhalb des Gutshofes, aufstieg. Durch eine Lücke, die sich in der dichten Wolkendecke auftat, konnte er sogar kurz den Mond erkennen. Ein großer Mond. Es war wenige Tage vor Vollmond.
    Er schlief gut in Tischis gebrauchten Schlafanzug in jener Nacht. Ohne zwischendurch aufzuwachen. Trotz oder gerade wegen der vorangegangenen sechs Stunden Mittagsschlaf. Und ohne zu frieren. Den angenehmen Geruch von Tischis Duschbad an seinem Körper. Den Geruch von Tischis Körper in seinem Geist.
     
    Die kommenden Tage verliefen für Knars nicht unbedingt einfach. Aber verglichen mit seinem ersten Tag hier doch schon um einiges besser.
    Allein das frühe Aufstehen war furchtbar. Furchtbar hart. Es kostete ihm eine enorme Willenskraft, sich morgens aus dem Bett zu schleppen, wenn es draußen noch vollkommen dunkel war. Es war schlicht und einfach die pure Grausamkeit. Auch Jans Einflüstereien erzeugten diesbezüglich keinen Motivationsschub mehr, da er mittlerweile in wohl zutreffender Weise stark annahm, dass Jan in diesem Fall nur geblufft hatte. Es gab Tage, da wollte er lieber sterben, als um diese Zeit aus seinem Bett zu kriechen. Das war krank. Das war extrem brutal hart. Jeden Tag aufs Neue. Nicht, dass es etwa Tag für Tag immer ein ganz klein wenig leichter wurde. Gewöhnungseffekt. Ganz im Gegenteil. Besser wurde es nicht. Eher verstetigt und dauerhaft schlimm.
    Dennoch schaffte er es immer noch irgendwie in seinem Trainingsanzug hinein und dann hinunter zum Morning Walk . Wenn auch oft nur als lebende Leiche .
    Besonderen Appetit beim Essen verspürte er aber nach wie vor nicht, auch wenn er inzwischen zwar besser, aber bisweilen oft immer noch recht flach und damit wenig erholsam schlief. Jan versuchte, ihn zu beruhigen. Eine gewisse Gewichtsabnahme sei hier in der ersten Zeit völlig normal, ja im Grunde sogar positiv zu bewerten. Bei all den wohlstandsverwahrlosten, fetten Jugendlichen hier in diesen unserem Land. Dann erzählte er aber auch von Einzelschicksalen, die heimwehkrank derart abmagerten, so dass sie am Ende Lohenmuld noch vor dem Trimesterende wieder verlassen mussten. Aber so etwas passierte eher unten bei der Mittelstufe im Gutshof. Bei den noch Jüngeren. In der Oberstufe hier oben am Schloss eher selten.
     
    Als Knars nach etwa einer Woche Lohenmuld bei sich Zuhause anrufen wollte, musste er feststellen, dass Phillip seine Telefonkarte nicht nur wie ausgemacht um ein paar Einheiten erleichtert, sondern vollständig leer telefoniert hatte. Die teuerste Kerze meines Lebens, dachte sich Knars. Aber er beschwerte sich nicht. Bei wem denn auch? Bei Lars, dem Schloßsprecher? Hätte wohl nicht viel Sinn gemacht, wenn er an dessen zögerliche und unverständlich inkonsequente Haltung an seinem ersten Abend hier im Speisesaal zurück dachte. Als Neuling hatte er solche Dinge hier wohl zunächst einfach mal zu schlucken. Punkt. Und Schluss. Er war sich aber dennoch ziemlich sicher, dass wohl Phillips ausgeprägtes Kommunikationsbedürfnis den wahren Grund für sein unsoziales Verhalten darstellte. Komplizierte Herzensdinge und all so Zeugs halt. Und ihm sicher nicht im Vorsatz asoziale Böswilligkeit zu unterstellen sei.

    So musste Knars nun den Rest des Monats halt ohne Telefonkarte auskommen. Daher setzte er sich an einem sonnigen Nachmittag in die Schlossbibliothek und schrieb einen Brief nach Hause. Es war das erste Mal in seinem Leben, dass er so etwas machte. Und es war der erste Nachmittag, seit er hier in Lohenmuld weilte, an dem nun endlich auch einmal die Sonne schien.
    Briefe schreiben war anstrengend. Körperlich anstrengend. Mit einem Füller in der Hand erforderte dies ein großes Maß an Konzentration und Disziplin.
     
    Hi Mum, Hi Dad!
    Das klang auf dem edlen Briefpapier mit dem Lohenmulder Wappen als Wasserzeichen ja gleich so was von bescheuert. Also:
     
    Liebe Eltern!
    Schon besser.
     
    Ich habe mich hier inzwischen sehr gut eingelebt. Alle sind sehr freundlich, hilfsbereit und

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