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Das Land jenseits des Waldes, Band I

Das Land jenseits des Waldes, Band I

Titel: Das Land jenseits des Waldes, Band I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benedikt Altmann
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rücksichtsvoll zu mir und helfen mir, wo sie nur können. Ganz besonders mein neuer Zimmerkamerad Jan. Mit ihm habe ich ein ganz besonders Glück gehabt. Schulisch ist es hier extraklasse. Kurse mit fünf bis maximal zehn Schülern. Toll. Das Lernen geht dabei wie von selbst.
    Bis bald
    Euer Konstantin
     
    Was Konstantin da an seine lieben Eltern schrieb, war zwar prinzipiell alles richtig. Die Wahrheit war es aber natürlich nicht. Die lag ganz woanders begraben. Und zwar nicht unbedingt da draußen im Wald.
    Denn, was Knars in seinen ersten Wochen hier am Schloss wirklich am schlimmsten zu schaffen machte, war gerade diese ausgesuchte Höflichkeit, die Rücksichtnahme und Hilfsbereitschaft, mit der seine neuen Mitschüler ihm hier in Lohenmuld immer und jederzeit begegneten.
    Und schon nach nur ganz wenigen Tagen fühlte er glasklar, dass dieses Verhalten der anderen Mulder alles andere als ehrlich und echt, sondern nur eine perfekt vorgespielte Fassade war, von der Lehrer und Erzieher nichts mitzubekommen schienen.
    Die im Lohenmulder Leitbild formulierten Werte und Normen, die hiesigen Sitten ganz im Sinne der Stiftungssatzung wurden ihm gegenüber von den anderen Muldern am Schloss alltäglich wie in einer routinierten Theateraufführung abgespult. Technisch perfekt aber ohne jede Empathie.
    Das war nicht fair. Das war nicht respektvoll.
    Und das war schon gleich überhaupt gar nicht in irgendeiner Weise ehrlich. Eher schon gemein, verlogen und ein sehr subtiles Zeugnis offener Ablehnung.
    Nichts Schlimmeres gab es, als jene Niedertracht, die unter dem großherzigen Gewand dieser tugendhaften Selbstverständlichkeiten für ein harmonisches Zusammenleben in der Schlossgemeinschaft aus dem Lohenmulder Leitbild wohnte.
    Nach fast zwei Wochen konnte Knars seine Stellung unter den Muldern hier im Haus ebenso wenig einschätzen wie seine Position im gesamten Schloss. Das nagte an ihm. Okay. Jan war schon ehrlich. Irgendwie zumindest. Wenn du mit jemandem so eng zusammen im selben Zimmer wohnst, der kann dir auf Dauer nichts vorspielen. Spätestens dann, wenn er ohne Handtuch aus der Dusche kommt, öffnen sich die aufgebauten Fassaden. Und Lars? Der Schloßsprecher? Der hatte ja schon damals gleich beim Drogentest während seines Wutausbruchs unten im Labor bei Herrn Rechenberg wenigstens einen kurzfristigen Anfall von Ehrlichkeit an den Tag gelegt . Knars’ Haussprecher Phillip hielt sich aber eben so bedeckt, wie alle anderen der Mulder hier in Haus Nummer Fünf .
    Es gab in dieser Zeit schon Momente, in denen Knars es sich regelrecht gewünscht hätte, dass sie ihn hier im Keller, draußen im Wald oder auch sonst irgendwo ganz einfach einmal so richtig verprügelt oder sonst was mit ihm angestellt hätten, was hier halt als Demütigung oder Aufnahmeritual für die Neuen so üblich war. Außerhalb des Einflussbereichs von Lehrern und Erziehern oder gar des Stiftungsrates. Denn, dass es hier derartige Gebräuche gab, das war für Knars gänzlich unzweifelhaft. Aber Jan wollte darüber nicht reden, machte nur Andeutungen und schwieg dann einfach.
    So vor allen anderen, so richtig knallhart seinen Platz hier am Schloss innerhalb der Jungsgruppe zugewiesen zu bekommen. Klare Verhältnisse. Sich dann in der so geschaffenen Situation, unter den gegeben Umständen behaupten zu müssen, sich beweisen zu können, so hatte Knars sich hier ein cooles Leben unter lauter anderen Jugendlichen vorgestellt.
    Doch statt Klarheit mit harten aber wenigstens ehrlichen Fakten herrschte im Verhältnis zwischen ihm und all den anderen Muldern hier am Schloss nur dieses zähe Wischiwaschi.
    Es war dieser stetige gruppendynamische Schwebezustand, diese schwammige Unklarheit, die Knars so fertig machte. Die ihm Schlaf und Appetit raubte. Dieses soziale Moratorium aus geheucheltem Respekt, gespielter Höflichkeit und absolut verlogener partnerschaftlicher Solidarität, in das die anderen Mulder hier am Schloss seine empfindsame Seele drängten, war formal korrekt, aber menschlich auf eine subtile, versteckte Weise auch so richtig brutal. So richtig fies. Niemand war hier auf Lohenmuld wirklich fair und ehrlich zu ihm. Wirklich niemand. Allerhöchstens vielleicht Tischi. Doch der war weit weg. Der existierte hier nach seinem unrühmlichen Abgang mittlerweile nur noch als Metapher.
    Denn in Wahrheit verhielt es sich doch so:
    Zuhause war er zwar ziemlich oft allein gewesen, aber doch so gut wie nie einsam. Hier im Internat war er dagegen so

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