Das Land zwischen den Meeren
schmeckte der fruchtigen Süße auf der Zunge nach und versuchte, sich zu beruhigen. Vermutlich wusste Pedro gar nichts Genaues über den Zustand ihrer Ehe, und sie hatte seiner Äußerung eine übertriebene Bedeutung zugemessen.
Von unten stieg aus dem offenen Fenster des Bibliothekszimmers der würzige Geruch von Pedros Zigarre zu ihr herauf. Sie beugte sich über die schmiedeeiserne Balkonbrüstung und lauschte mit geschlossenen Augen in die Dunkelheit hinein. Ein plötzliches Verlangen stieg in ihr auf. Mit einem Mal sehnte sie sich nach Antonios schmalen, feingliedrigen Händen, nach dem Duft seines Rasierwassers, dem Kratzen seiner Bartstoppeln.
Mit klopfendem Herzen kehrte sie ins Zimmer zurück und suchte nach einem frischen Taschentuch. Sie träufelte einige Tropfen ihres Lieblingsparfums darauf und schob es in den Ausschnitt ihres Kleides. Dann nahm sie ein Schultertuch aus dem Wäscheschrank und lief die Treppe hinunter. Unten an der Haustür begegnete sie Pedro. Er stierte sie mit glasigen, geröteten Augen an. Offensichtlich hatte er mehr als nur ein Glas Cognac getrunken.
»Antonio arbeitet immer so viel, und dieser Abend ist so schön. Ich will ihn zu einem kleinen Spaziergang überreden«, kam Dorothea jeder Frage ihres Schwiegervaters zuvor. Ohne eine Antwort abzuwarten, griff sie nach einer der Laternen, die neben dem Eingang standen, und entfloh ins Freie. Brennende Fackeln beleuchteten die Hauptwege rings um das Herrenhaus, bildeten Lichterketten im leicht hügeligen Gelände.
Amerigo Vespucci, der Papagei des Gärtners, hockte auf seiner Stange vor dem Geräteschuppen. Als sich Schritte näherten, erwachte er und streckte nacheinander Beine und Flügel. Dann legte er den Kopf schief und beäugte Dorothea, die stehen geblieben war. Sie reckte sich zu ihm hoch und kraulte die weichen roten Federn an seiner Brust.
»Demnächst musst du mir einmal Modell sitzen, alter Junge. Ich wette, du bist der schönste Ara in ganz Costa Rica. Aber dass du mir schön still hältst, hörst du?«
Als hätte der Vogel ihre Worte verstanden, krächzte er leise und knabberte vorsichtig an ihrem Finger. Dann steckte er den Kopf unter die Flügel und schlief weiter.
»Wer ist da?«
Dorothea erschrak, als sie hinter sich eine tiefe Stimme vernahm. Sie wandte sich um und sah im Schein der Fackeln einen mittelgroßen, stämmigen Mann auf sich zukommen. Er ruderte mit den Armen und rang nach Luft.
»Ach, Sie sind es, Señora Ramirez! Bitte verzeihen Sie, ich dachte, es ist einer der Arbeiter, der etwas im Schilde führt.« Sebastiano Sanchez Alonso, der Plantagenverwalter, blieb unvermittelt stehen und hob entschuldigend die Hand. »Man muss bei diesen Burschen wachsam sein, glauben Sie’s mir, Señora. Es sind Indios, und solche Leute haben das Böse im Blut. Letztens gab es auf der Plantage von Gustavo Tabanero eine Messerstecherei. Zwei tote und drei verletzte Indios. Natürlich war eine Frau im Spiel, und wo unsereins sich von Mann zu Mann ausgesprochen hätte, gingen diese Wilden aufeinander los und …«
»Danke, es ist alles in Ordnung, Señor Sanchez Alonso. Ich bin auf dem Weg in das Kontor meines Mannes. Wir wollen noch einen Spaziergang unternehmen. Gute Nacht.«
Dorothea missfiel die abfällige Art, in der der Verwalter über die Ureinwohner sprach. Ausschließlich Indios verrichteten die schwere körperliche Arbeit auf den Plantagen, deren Besitzer mit steigender Nachfrage nach Kaffee reicher und reicher wurden. Jemand wie Sanchez Alonso, dessen Großvater aus Argentinien stammte und der sich rühmte, ein Weißer zu sein, war ebenfalls ein Nutznießer dieses Systems.
Verärgert ließ sie den Verwalter stehen und stapfte weiter den schmalen Fußweg am Rand der Plantage entlang, bis sie die kleine Anhöhe erreichte, auf der inmitten von Sträuchern eine Blockhütte stand. Antonios neues Kontor, das er nach langem und zähem Kampf seinem Vater abgetrotzt hatte. Das Häuschen lag ein wenig abseits, etwa dreihundert Fuß von einer Bank entfernt, die zu Dorotheas Lieblingsplatz auf der Hacienda geworden war. Dort hatte sie schon manche Stunde verbracht und den Blick über die weiten Kaffeefelder schweifen lassen.
Sie erinnerte sich noch genau an die heftigen Diskussionen zwischen Vater und Sohn, als es darum ging, ob Antonio ein geräumigeres Dienstzimmer im Verwaltungsbau bekäme oder ob er weiterhin an seinem Schreibtisch in der viel zu engen Stube, einer umgebauten Putzkammer, säße. Irgendwann
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