Das Land zwischen den Meeren
ich dachte … es gibt da nämlich etwas … Ich habe noch nie mit jemanden darüber gesprochen …«
» Was war mit den beiden Engländern?«, fragte Elisabeth behutsam nach. »Bisher fandest du sie sympathisch. Oder irre ich mich?«
Dorothea stockte. Warum nur konnte sie nicht aussprechen, was sie bedrückte? Nicht einmal ihrer langjährigen Freundin gegenüber? Sie räusperte sich mehrmals, senkte den Blick. »Ich … ich hätte nie gedacht, dass die beiden … also dass sie … so sind.«
»Ach, das meinst du … Es hat dich hoffentlich nicht schockiert. Graham und Spencer sind höfliche und kultivierte Gäste, die pünktlich ihr Zimmer bezahlen … Sie behandeln mich überaus respektvoll. Warum hätte ich ihnen den Zutritt zu meinem Haus verwehren sollen? Nur weil sich möglicherweise irgendwelche Moralapostel daran stören könnten? Es gibt schließlich mehr Männer, die sich zu ihresgleichen hingezogen fühlen, als man vermutet. Frauen übrigens auch. Sieh dich nur aufmerksam um.«
Dorothea starrte die Freundin ungläubig und entsetzt zugleich an, schüttelte heftig den Kopf. »Nein, Elisabeth … das kann ich nicht glauben. In der Bibel steht doch … Gott hat Mann und Frau erschaffen, damit sie …«
»Weißt du, meine Liebe, es gibt auch eine Zeit vor der Bibel. Und seit jeher haben Menschen so gelebt und geliebt, wie es ihnen gefiel. Manchmal passen Mann und Frau einfach nicht zusammen, sonst gäbe es nur glückliche Ehen.«
Dorothea schwieg und versuchte, Klarheit in das Wirrwarr ihrer Gefühle zu bringen. Was war nur mit ihr? Sie hatte sich mit der Freundin doch immer gut verstanden. War ihr, selbst bei unterschiedlicher Meinung, immer zugetan gewesen.
»Sag einmal, ist dir noch nie ein Mann begegnet, der andere Männer anziehend findet?«
Elisabeths Frage traf Dorothea wie ein Blitz. Sie zuckte zusammen und hielt sich nur mit Mühe aufrecht. »Doch, Antonio«, schleuderte sie der Freundin trotzig entgegen.
»Jesusmariaundjosef!«
Dorothea nickte, war erleichtert, dass sie die Wahrheit über die Lippen gebracht hatte. Endlich wusste jemand, wie sie sich fühlte und was sie mitgemacht hatte. Sie war in ihrem Kummer nicht mehr allein.
Elisabeth schlug sich mit der Hand gegen die Stirn und stieß einen leisen Pfiff aus. »Na servus, jetzt wird mir einiges klar!«
Dorothea rutschte ein Stück zur Seite und musterte die Freundin mit fragendem Blick.
»Aber geh, wenn ein Mann so gut ausschaut und so charmant ist wie dein Antonio, den andere Männer beneiden und von dem alle Frauen schwärmen – dann ist das ein recht sicherer Hinweis auf sein wahres Wesen. Ich hätte schon früher drauf kommen können.«
Dorothea rang nach Luft, fassungslos und zutiefst erschüttert. Nach jahrelangem Ringen hatte sie den Mut gefunden und Elisabeth ihr Geheimnis anvertraut. Und nun verhielt sich die Freundin so, als sei dieses Geständnis überhaupt nichts Besonderes. »Es ist ein Gefühl, als hätte man keinen Boden mehr unter den Füßen. Man stürzt und findet nirgendwo einen Halt. Immer wieder hat Antonio versprochen, er werde sich ändern …«, versuchte sie zu erklären und wartete auf ein Zeichen von Verständnis und Mitleid.
»Und, hat er sich geändert?«
Seufzend schüttelte Dorothea den Kopf, zwinkerte die aufkommenden Tränen weg.
»Nun lass den Kopf nicht hängen, mein Hascherl! Du darfst nicht erwarten, dass dein Mann sich selbst verleugnet. Das kann ein Mensch nur bis zu einem gewissen Grad. Euer Liebesleben mag zwar wenig aufregend sein, aber ansonsten befindest du dich doch in einer äußerst kommoden Lage.« Elisabeth sprang auf und legte der Freundin die Hände auf die Schultern, versprühte Heiterkeit und Zuversicht.
Dorothea verschlug es die Sprache. »Du machst dich über mich lustig, Elisabeth«, schnaubte sie tief empört.
»Aber nein, wie kommst du darauf? Sehen wir die Dinge einmal nüchtern. Erstens: Dein Mann ist ein reicher Erbe. Zweitens: Er trifft sich mit anderen Männern. Und drittens hat er eine Familie, die ihm den Anschein eines liebevollen Ehemannes und Vaters verleiht und ihn vor übler Nachrede schützt. Wenn du ihn gewähren lässt, wird auch dein Mann bereit sein, dir Freiheiten einzuräumen, von denen viele Ehefrauen nur träumen können. Allein schon, um dich bei Laune zu halten. Du bist innerlich und moralisch frei, und das ist ein unschätzbarer Vorteil. Mit Antonios Geld kannst du dein Leben gestalten, ganz und gar nach deinem Gusto – und dir nebenbei noch
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