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Das Land zwischen den Meeren

Das Land zwischen den Meeren

Titel: Das Land zwischen den Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Paredes
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Patentante, sorgte sich um deren Gesundheitszustand. Noch am gleichen Tag wollte sie ihr einen langen Brief schreiben und außerdem Geld anweisen, damit sie sich von dem besten Arzt in Deutz behandeln lassen konnte. Nur zu gern hätte sie die Tante wiedergesehen und mit ihr in der gemütlichen kleinen Küche Pfannkuchen gebacken. Und vielleicht hätte sie bei der Gelegenheit sogar herausgefunden, was Katharina ihr beim letzten Mal verheimlicht hatte. Als ihr das Wort »Lebenslüge« herausgerutscht war und sie dann hastig und verlegen das Thema gewechselt hatte. Es musste etwas mit Hermann und Sibylla Fassbender zu tun haben, und offenbar wusste die Tante von einem Geheimnis, das sie nicht preisgeben wollte.
    Lange, viel zu lange schon hatte Dorothea sich wegen ihrer zwiespältigen Gefühle den Eltern gegenüber den Kopf zerbrochen, sich Vorwürfe gemacht und war in Selbstzweifel versunken. Hatte sich gefragt, ob es an ihr gelegen hatte, dass die Eltern seit jeher so kühl und gefühllos gewesen waren. Denn noch immer hatte sie die Vergangenheit nicht vollständig hinter sich gelassen. Aber war das überhaupt möglich? Die seelischen Verletzungen der Kindheit zu vergessen? Gleichzeitig war ihr der Gedanke schier unerträglich, sich bei einer Reise nach Deutschland für fast ein Jahr von ihrer Tochter trennen zu müssen. Die sie so liebte, wie sie selbst gern geliebt worden wäre.
    Sie zog das Herzmedaillon aus dem Mieder und presste es an die Lippen. Fühlte, wie das Metall ihre Körperwärme gespeichert hatte. Wurde ganz ruhig und empfand mit einem Mal ungeahnte Energie. Nein, sie wollte nicht sentimental werden und vor Selbstmitleid zerfließen. Es war an der Zeit, aufzuwachen, nicht länger zurückzuschauen, sondern ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und ihrem Leben eine neue Richtung zu geben. Was von nun an zählte, waren allein Gegenwart und Zukunft!
    Dorothea beugte sich über das hölzerne Brückengeländer und blickte auf den gewundenen blaugrünen Wasserlauf, der unter ihr entlangfloss. Sah einzelnen Blütenblättern hinterher, die sich kreiselnd auf der Wasseroberfläche in Richtung des Herrenhauses bewegten. Auf der Hacienda war es wieder still geworden, nachdem die Ernte beendet war und die Pflücker in ihre Heimatdörfer zurückgekehrt waren. Es war die beste Kaffeeernte gewesen, die die Plantage jemals erlebt hatte, wie sie den Tischgesprächen zwischen Vater und Sohn entnehmen konnte. Die Europäer waren mittlerweile verrückt nach Kaffee und auch bereit, immer höhere Preise für die Bohnen zu zahlen. Die Kaffeebarone konnten mit dieser Entwicklung mehr als zufrieden sein.
    Erst dachte Dorothea an eine Katze, die verletzt war und sich irgendwo versteckt hatte. Als die Jammerlaute nicht verstummten, ging sie weiter in die Richtung, aus der das Weinen kam. Eine junge Frau hockte vor einem Akanthusstrauch, dessen große gezackte Blätter in der Sonne silbrig grün schimmerten. Sie hielt die Beine umklammert und hatte den Kopf auf die Knie gesenkt, sodass nicht zu erkennen war, wer hier so wehklagte. Lediglich an der Kleidung mit der blau-weiß gestreiften Schürze war zu erkennen, dass es eins der Dienstmädchen sein musste.
    Dorothea berührte die Schulter der jungen Frau. »Was ist denn geschehen, kann ich dir helfen?«
    Das Mädchen hob den Kopf, und Dorothea blickte in ein bildschönes, tränenüberströmtes Gesicht, auf dem sich Leid und Verzweiflung abzeichneten. Dorothea meinte sich zu erinnern, dass die Indigena kurz vor ihrer Reise ans Meer eingestellt worden war. Sie hieß Teresa und war eine weitläufige Verwandte von Mariana, Isabels Zofe. Das Mädchen schüttelte den Kopf.
    »Nein, niemand kann mir helfen.«
    »Das glaube ich nicht.« Dorothea breitete ihr Schultertuch auf dem Boden aus und ließ sich darauf nieder, wartete ab.
    »Doch, und jemand wie Sie kann das sowieso nicht verstehen«, presste Teresa hervor und wandte den Kopf zur Seite, schluchzte und schluckte.
    Dorothea sprach ruhig und besänftigend. »So erklär mir doch, was ich nicht verstehen kann. Und warum das so ist.«
    Und dann begann die junge Frau plötzlich zu erzählen, schnell und wirr durcheinander, als müsse sie ihr ganzes Leid auf einmal ausschütten. Nach und nach wurde Dorothea klar, was geschehen war. Ihr Schwiegervater war im vergangenen September mit einem Freund von einem mehrtägigen Jagdausflug nach Hause gekommen. Die Männer hatten sich nach dem Abendessen ins Bibliothekszimmer zurückgezogen und

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