Das Land zwischen den Meeren
reichlich getrunken. Dann hatte dieser Freund sich die Füße vertreten wollen und war dabei auf Teresa gestoßen, die gerade mit dem Abwasch fertig geworden und auf dem Weg ins Gesindehaus gewesen war. Der Mann hatte sie verfolgt, ins Gebüsch gezerrt und sich an ihr vergangen. Teresa hatte nicht um Hilfe rufen können, weil der korpulente Mann ihr den Mund zugehalten hatte. Dabei hatte sie Todesangst ausgestanden.
Einige Wochen später stellte sie fest, dass sie schwanger war. Ihr Zustand ließ sich nicht länger verbergen, und nun hatte Pedro ihr gekündigt. Mit der Begründung, eine unverheiratete Angestellte, die in anderen Umständen war, untergrabe die Moral der anderen und werfe überdies ein schlechtes Licht auf den Dienstherrn.
»Aber hast du meinem Schwiegervater denn nicht erzählt, was vorgefallen ist?«, fragte Dorothea und wusste nicht, ob sie mehr Mitleid mit Teresa oder Wut auf den Vergewaltiger empfinden sollte. Denn sie erinnerte sich plötzlich genau an den Mann, der es gewesen musste. Javier Cubillo Gomez hatte früher einmal eine Apotheke in Cartago besessen, war siebzig Jahre alt, mehrfacher Vater und Großvater, ein großspuriger, zynisch daherredender Mensch, der Dorothea zutiefst unsympathisch gewesen war. Die beiden Männer hatten beim Abendessen mit ihrer erfolgreichen Jagd geprahlt und stolz die Zahl der erlegten Tapire, Affen und Papageien genannt.
»Er hat mich erst gar nicht zu Wort kommen lassen. Außerdem hätte er mir ohnehin nicht geglaubt. Es gibt keine Zeugen, und auch dann würde niemand zugunsten einer Ureinwohnerin aussagen«, erklärte Teresa leise und wischte sich mit dem Schürzenzipfel über die Augen.
Jetzt überwog bei Dorothea die Wut. »Ich rede mit meinem Schwiegervater. Sein Freund muss zur Rechenschaft gezogen werden.«
Teresa hob die Schultern, lächelte schief und traurig. »Sie sind sehr freundlich, Señora Ramirez. Aber dieser Mann wird doch alles leugnen. Und wem wird man eher glauben? Einem reichen, edlen Herrn oder einer armen kleinen Indianerin?«
Dorotheas konnte ihren Zorn kaum noch unterdrücken. Welch erniedrigende, unmenschliche Situation für diese junge Frau! »Was ist mit deiner Familie?«, fragte sie vorsichtig und hegte die schwache Hoffnung, in Costa Rica bringe man unverheirateten Müttern mehr Verständnis entgegen als in Europa.
»Meine Familie wird mich nicht mehr aufnehmen, denn ich habe mich mit einem Weißen eingelassen. Einen Ehemann werde ich auch nicht finden. Wer will schon das Kind eines anderen großziehen?« Ein heftiges Schluchzen erschü tterte Teresas zarten, feingliedrigen Körper. »Don Pedro sagt, ich muss die Hacienda heute noch verlassen. Jetzt kann ich nur noch betteln gehen … oder mich in Puntarenas den Matrosen hingeben.«
Eine Erinnerung überkam Dorothea, machtvoll und schmerzhaft. Sie sah sich an Teresas Stelle. Und dann fühlte sie, wie etwas in ihrem Innern aufbrach. Eine Kraft, die schon lange auf ihre Befreiung gewartet hatte. Sie wusste noch nicht, was sie tun würde, nur dass sie handeln musste. Tröstend legte sie den Arm um die zuckenden Schultern der jungen Indianerin. »Niemand wird dich davonjagen. Dafür werde ich sorgen. Kehr in deine Unterkunft zurück, Teresa! Wir finden eine Lösung. Ach, sag mir noch, zu welchem Indianerstamm du gehörst.«
»Meine Familie und ich sind Chorotegas.«
Diese Antwort gefiel Dorothea, auch wenn sie den Grund dafür nicht hätte nennen können.
Auf seinen Stock gestützt, verließ Pedro in diesem Augenblick das Verwaltungsgebäude. Offenbar wollte er zum Herrenhaus hinübergehen. Sie stellte sich ihm in den Weg. »Ich muss mit dir reden, Schwiegervater.«
Er wirkte überrascht, denn nie zuvor hatte Dorothea ihn außerhalb des Hauses angesprochen. Er humpelte zurück in sein Kontor, das von ähnlich schwerfälliger Eleganz und ge nau wie das Bibliothekszimmer im Herrenhaus mit Mahago nimöbeln ausgestattet war. Dort wies er auf einen der Besucherstühle und ließ sich in einen breiten ledernen Ohrensessel sinken. »Was verschafft mir die Ehre deines Besuches?«
»Ist es wahr, dass du heute eins der Dienstmädchen entlassen hast?«
»Sehr wohl, und weißt du auch womit? Mit Recht! Dieses Ding ist nicht verheiratet und bekommt einen Balg. Sind wir hier etwa in einem Freudenhaus?«
»Hast du eigentlich nachgefragt, wie sie in diesen Zustand geraten ist? Dein Freund Javier hat sie nach einem eurer Jagdausflüge, als ihr mächtig getrunken hattet, auf dem Weg ins
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