Das Land zwischen den Meeren
abgebrochen und auch ihrer Tochter den weiteren Umgang mit » dieser liederlichen Person« verboten. Dorothea und sie hat ten sich dennoch regelmäßig Briefe geschrieben. Über eben jene Freundin, die nunmehr nach München gezogen war. Die Patentante hätte bestimmt ein offenes Ohr für ihre Nöte und würde gemeinsam mit ihr nach einem Ausweg suchen, davon war Dorothea überzeugt.
Gerade als sie sich aufgesetzt hatte und in ihre samtenen Hausschuhe schlüpfen wollte, pochte es an der Zimmertür. Noch bevor sie etwas sagen konnte, trat ihre Mutter ins Zimmer und sank schwer atmend in den Korbsessel am Fußende des Bettes. Sie war bereits fertig angekleidet und frisiert und verströmte den Duft eines Maiglöckchenparfums. Unter den Augen gewahrte Dorothea dunkle Ringe, die sie nur selten an ihrer Mutter wahrgenommen hatte und die verrieten, dass auch Sibylla Fassbender eine schlechte Nacht verbracht hatte.
Das Gesicht der Mutter rührte sie. Ihre aufblitzende Verletztheit. Zu ihr hatte sie immer aufgeschaut, ihr hatte sie gefallen wollen. Wie gern hätte sie einmal ein Lob aus ihrem Mund gehört. Doch wie eine unüberwindbare Wand stand etwas zwischen ihnen, das jede Nähe verhinderte.
Sibylla räusperte sich. »Ich habe lange über deine und unsere Lage nachgedacht, Dorothea. Womöglich ist nicht alles so ausweglos, wie es zunächst den Anschein hatte. Natürlich musst du diesen … diesen Journalisten vergessen. So jemand entspricht ganz und gar nicht deinem Stand. Wahrscheinlich hat er dir vorsätzlich mit schönen Reden den Kopf verdreht. Versucht, sich in unsere Familie einzuschleichen, weil du bekanntlich eine gute Partie bist …«
Dorothea wollte aus dem Bett springen und ihrer Mutter untersagen, auch nur ein einziges schlechtes Wort über den Mann zu verlieren, den sie nach wie vor liebte. Doch in ihrer Verzweiflung blieb sie stumm.
»Es gibt nämlich gute Nachrichten. Herr Lommertzheim hat gestern Morgen, nachdem du aus dem Haus gegangen warst, eine Nachricht überbringen lassen. Er ginge gern mit dir ins Wallrafianum. Und da du ohnehin arbeitsfrei hast, habe ich sogleich den heutigen Vormittag vereinbart.«
Stumpf starrte Dorothea vor sich hin und schwieg. Wollte sich zu diesem unsäglichen Vorschlag nicht äußern.
»Beeil dich! Zieh dein schönstes Kleid an und leg etwas Wangenrot auf, damit du frischer aussiehst. Und vor allem: Sei nett zu dem Apotheker, sei fröhlich und charmant. Sei … nun ja, wie soll ich sagen … auch ein bisschen kokett. Männer mögen so etwas. Umgarn ihn, verdreh ihm den Kopf. Er soll das Gefühl bekommen, dass du für ihn die Frau seines Lebens bist.«
Dorothea schickte ein stummes Gebet zur Gottesmutter, sie möge vor diesem Treffen bewahrt bleiben. Sibylla rang nach Luft, ihre Stimme überschlug sich schier vor Aufregung. »Ihr müsst so schnell wie möglich heiraten. Er wird annehmen, das Kind sei von ihm. Und dann … oh, ich weiß es genau, dann wirst du ganz im Familienleben aufgehen.«
Um Punkt elf Uhr läutete es an der Tür. Sibylla Fassbender ließ es sich nicht nehmen, den Besucher persönlich zu begrüßen. Sie setzte ihr gewinnendstes Lächeln auf, als der Apotheker seinen Zylinder zog und sich zum Handkuss vor ihr verneigte. Ihre Tonlage geriet höher als gewöhnlich. »Welch zauberhafter Einfall, unsere Tochter in einen Kunsttempel zu entführen, Herr Lommertzheim! Dorothea liebt nämlich Bilder und ist schon ganz aufgeregt.«
Sie kniff Dorothea unauffällig in den Arm und zwinkerte ihr aufmunternd zu. Paul Lommertzheim spitzte die Lippen. »Nun, dann wollen wir gleich los, bevor die Anspannung unerträglich wird. Spätestens um halb drei wird Ihre Tochter zum Tee wieder zu Hause sein.« Er sah Sibylla tief in die Augen. »Sie sehen heute übrigens wunderschön aus, gnädige Frau. Offenbar haben Sie die ewige Jugend für sich gepachtet.«
Sibylla Fassbender errötete leicht und senkte verlegen die Lider. »Aber nicht doch, Herr Lommertzheim! Ein unverdientes Geschenk des Schicksals. Welche Rolle spielt denn schon der äußere Schein? Im Leben einer Frau zählen doch nur die Gesundheit und das Wohl der Familie.«
Peter Lommertzheim gab einem Kutscher ein Zeichen und stieg mit Dorothea in den Einspänner. Als Ziel nannte er den Kölnischen Hof. Sie saßen sich so dicht gegenüber, dass ihre Knie sich fast berührten. Dorothea hatte den Kopf gesenkt und betrachtete ihre Hände, die sie im Schoß zusammengefaltet hielt. Sie wusste nicht, was sie sich
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