Das Land zwischen den Meeren
von dieser Exkursion erhoffen sollte. Alles Denken fiel ihr schwer, sie fühlte sich wie betäubt.
Als der Kutscher vor dem imposanten zweigeschossigen Gebäude in der Trankgasse angehalten hatte, öffnete der Apotheker die Wagentür und wollte Dorothea beim Aussteigen helfen. Sie schüttelte jedoch den Kopf und übersah den angebotenen Arm. Peter Lommertzheim warf dem Kutscher auf seinem Bock eine Münze zu und schritt durch das mächtige Eichenportal voraus, das an beiden Seiten von Säulen gerahmt wurde.
Im Innern schlug ihnen der muffige Geruch von Staub und Schimmel entgegen. Lommertzheim zog seine Visitenkarte und hielt sie dem Pförtner entgegen, der eilfertig aus seiner Empfangsloge herauskam.
»Richten Sie dem Herrn Direktor meinen Gruß aus. Sagen Sie ihm, dass ich nächste Woche am Treffen der Freunde und Mäzene des Hauses leider nicht teilnehmen kann. Ich bin von Berufs wegen verhindert.«
Er reichte dem Pförtner Hut und Gehstock und schritt in den ersten der vier Ausstellungssäle voraus, der dem Mittelalter gewidmet war. An den Wänden hingen dicht an dicht Gemälde, einige sogar bis zur Decke hinauf. Angesichts der Farbenpracht, der vollendeten Ausführung und der kostbaren Goldrahmen schlug Dorotheas Herz höher. In diesem Augenblick vergaß sie sogar ihren Kummer und fragte sich, warum sie nicht öfter diese herrliche Sammlung aufsuchte, deren Betrachtung Balsam für Auge und Herz bedeutete.
Lommertzheim strich sich über den Bart und musterte Dorothea prüfend von der Seite. »Weiß das Fräulein Dorothea eigentlich, an welch bedeutender historischer Stätte wir uns hier befinden?«
Dorothea gab sich keinerlei Mühe, die Ironie in ihrer Antwort zu unterdrücken. Allzu sehr ärgerte sie sich über die schulmeisterliche Art, in der ihr Begleiter mit ihr sprach, als wäre sie ein kleines Kind. »Das Fräulein ist dem Herrn Apotheker gern behilflich, seine Kenntnisse der Kölner Stadtgeschichte zu erweitern. Der Kölnische Hof wurde bereits im Jahr vierzehnhundertneunundvierzig urkundlich erwähnt und diente über Jahrhunderte als Quartier der Erzbischöfe. Sogar der päpstliche Nuntius hatte hier sein Domizil. Die Kunstsammlung, die wir in diesen Räumen bewundern dürfen, hat übrigens der Onkel meiner früheren Deutschlehrerin gestiftet.«
»Sehr löblich, das Fräulein Dorothea hat im Unterricht aufgepasst … Meine Vorliebe gilt eigentlich nur Bildern mit Szenen aus dem Alten und Neuen Testament oder aus dem Leben der Heiligen. Bilder, die Erhabenheit ausstrahlen. Die Abteilung mit den Konterfeis eitler, reicher Bürger oder Landschaften mit wilden Schluchten und Seen können wir uns sparen.«
Dorothea fühlte, wie sich alles in ihr sträubte. »Mein Lieblingsbild ist ein Gemälde von Albrecht Dürer, das mit dem Trommler und dem Pfeifer. Wegen der wunderbaren Wiedergabe der Gesichtszüge. Und wegen der Landschaft mit den blauen Bergen in der Ferne, die beinahe mit der Himmelszone verschmelzen.«
Leicht verwirrt starrte Lommertzheim auf Dorothea herab und schien nicht recht zu wissen, was er von ihrer Bemerkung halten sollte. Doch dann fasste er sich und fand ein maliziöses Lächeln. »Ach ja, junge Mädchen sind oft so romantisch und vorschnell in ihrem Urteil. Aber das muss man ihnen nachsehen. Mit den Jahren lernen sie, die Dinge nüchtern und mit den Augen ihres Ehemannes zu sehen.«
Dorothea beobachtete, wie eine Lehrerin mit einer Schar etwa zwölfjähriger Schülerinnen durch den Ausstellungssaal ging. Den Mienen der Mädchen war anzusehen, dass sie keinesfalls auf die Worte der Erzieherin achteten, sondern mit geröteten Wangen und glänzenden Augen zu einem Bild hinüberblinzelten, das den heiligen Sebastian darstellte. Einen jungen Mann mit langem schwarzem Lockenhaar, dessen wohlgeformter Körper lediglich von einem Lendentuch bedeckt war.
Lommertzheim stolzierte weiter und blieb bewundernd vor einem kleinformatigen Gemälde stehen. Mit lebhaften Gesten unterstrich er seine Erläuterungen. »Bei diesem Bild hat der unbekannte Meister edle Gestalten zur Darstellung eines erlauchten Themas geschaffen. Der Engel erscheint der heiligen Ursula. Das Mobiliar zeigt flandrischen Einfluss. Die gefalteten Hände und der demutsvolle Blick unterstreichen die Keuschheit und Reinheit der Heiligen …«
Wortlos lauschte Dorothea den Ausführungen des Apothekers und wollte sich lieber nicht ausmalen, wie es wäre, mit einem Mann zusammen zu sein, der ganz offensichtlich Sätze aus dem
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