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Das Land zwischen den Meeren

Das Land zwischen den Meeren

Titel: Das Land zwischen den Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Paredes
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Fußende und biss Lotte in die Hand, mit der sie den Bettpfosten umklammert hielt.
    »Mama, Klara ist wieder so gemein zu mir! Dabei habe ich gar nichts getan«, jaulte Lotte und suchte Schutz hinter dem Rücken der Mutter. »Ich will nicht mitkommen, ich will wieder nach Hause zu den Großeltern.«
    »Kinder, vertragt euch!«, erfolgte zweistimmig die Mahnung der Mütter.
    »Ich habe unsere Koffer gefunden. Sie sind da hinten in einem Verschlag. Und den Klabautermann habe ich auch gesehen!«, rief ein etwa zehnjähriger Junge mit dunklem Haarschopf durch die offen stehende Tür. Als hätten sie nur auf dieses Stichwort gewartet, rannten alle Kinder gleichzeitig aus der Tür der Kajüte.
    Dorothea stand vor den beiden verbliebenen Kojen und überlegte, ob sie die obere oder die untere nehmen sollte.
    »Wenn’s recht ist, Fräulein Fassbender, dann möchte ich gern oben schlafen. Ich komme aus den Bergen und mag die Höhenluft.« Elisabeth von Wilbrandt setzte ihre rote Strohschute ab und warf sie fröhlich und zielgenau auf die Schlafstatt.
    Dorothea musste unwillkürlich lachen. »Ja, sehr gern. Sie haben mir soeben eine schwierige Entscheidung abgenommen.« Sie ging in die Hocke und begutachtete das schmale, harte Bett, auf dem zwei graue Wolldecken und ein kleines flaches Kissen lagen. Hier würde sie also für die nächsten vier oder fünf Monate die Nächte verbringen. Eingekeilt zwischen den Nachbarkojen seitlich und mit nur wenigen Handbreit Abstand zu den Kojen über ihr. Doch sie wollte sich nicht die Stimmung verderben lassen. Irgendwann ginge auch diese Seereise zu Ende, und danach könnte sie wieder in einem behaglichen breiten Bett schlafen. Ganz für sich allein.
    Auf ein Poltern vor der Tür hin hoben die fünf Frauen die Köpfe. Die Kinder waren zurückgekommen und zerrten wahllos Gepäckstücke in die Schlafkammer. Die vierjährige Roswitha hielt eine Hutschachtel in den viel zu kurzen Armen und stolperte über einen am Boden liegenden Koffer. Der Deckel der Schachtel fiel herunter, ein roter Strohhut mit schwarzer Reiherfeder rutschte heraus und landete unterhalb der Hängematte. Dicke Staubflocken wirbelten hoch, Roswitha heulte laut und flüchtete in die Arme ihrer Mutter. Die Frauen ermahnten die Kinder und halfen ihnen, die kleineren Koffer unter den Kojen zu verstauen. Die großen Kisten und Koffer mussten wieder in den Laderaum zurück, wo sie bei Seegang sicher in einer Stellage standen und nicht verrutschen konnten.
    Nachdem alle ihre Kojen eingerichtet hatten, inspizierten die Frauen die Kombüse nebst Vorratskammer. Damit sie einen Überblick erhielten, welche und wie viele Lebensmittel die Reederei für die Passagiere eingelagert hatte. Danach drängte es Dorothea ins Freie. Sie fragte Elisabeth von Wilbrandt, ob sie Lust habe, sie zu begleiten. Doch die junge Mitreisende, die eine für Dorotheas Ohren ungewohnte Art hatte, die Silben zu betonen, wollte zuerst die Erlebnisse vom Abreisetag in ihrem Tagebuch festhalten. Sie versprach aber, später nachzukommen. Dorothea freute sich, eine gleichaltrige Mitreisende gefunden zu haben. Außerdem hätten sie noch viel Zeit für Gespräche und gemeinsame Spaziergänge an Deck. Mehrere Monate lang, in denen sie zwölftausend Seemeilen zurücklegen würden.
    Mittlerweile war der Lotse von Bord gegangen, und der Kapitän hatte die Alleinherrschaft über sein Schiff zurückerhalten. Zwei etwa fünfzehnjährige Schiffsjungen kamen aus dem Niedergang, der zu den Mannschaftskajüten führte. Als sie Dorothea sahen, nahmen sie Haltung an und legten die Finger verlegen an die Ränder ihrer Mützen.
    Mit leichtem Kopfnicken grüßte Dorothea zurück, lehnte sich gegen die Reling und gab sich ganz dem sanften Schaukeln des Schiffes hin, das gemächlich elbabwärts glitt. Die Kaiser Ferdinand würde erst in einigen Stunden das offene Meer erreichen. Dorothea schmeckte Salz auf den Lippen. Endlich konnte sie die Vergangenheit abstreifen wie eine Schlange die zu eng gewordene Haut. Sie war gespannt, was darunter hervorkäme. Vielleicht konnte sie eines Tages auch wieder lachen. Und lieben. Irgendwann.
    Eine Windbö kam auf, fuhr ihr unter das Kleid und schob den Hut in den Nacken. Sie knotete die Bänder ihrer Schute unter dem Kinn enger zusammen und bemerkte, wie eine Männerhand sich neben ihr auf die Reling legte. Eine altersfleckige, aber sehr gepflegte Hand mit dicken Adern auf dem Handrücken und einem Siegelring am kleinen Finger. Es war Erik Jensen,

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