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Das Land zwischen den Meeren

Das Land zwischen den Meeren

Titel: Das Land zwischen den Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Paredes
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entgegenstreckte, lüftete er mit der anderen den Hut und verbeugte sich in Elisabeths Richtung. War von einer Sekunde zur anderen wieder der honorige hanseatische Kaufmann mit den gepflegten Umgangsformen. »Unsere Freundin ist ausgeglitten. Ich konnte gewissermaßen noch in letzter Sekunde ein Unheil verhindern. Sonst wäre sie unter der Reling hindurchgerutscht und ins Wasser gestürzt.«
    Dorothea übersah die dargebotene Hand, rappelte sich aus eigener Kraft auf und richtete ihre Schute. War wütend, wie Jensen die Tatsachen verdrehte und sich als Retter aufspielte. Mit halb geschlossenen Augen blinzelte sie zu ihm hinüber. Sein Gesichtsausdruck wirkte entspannt. Mit freundlicher, beinahe gelangweilter Miene blickte er Dorothea an. Hatte sie die Situation vorhin falsch eingeschätzt? Sie war sich ganz sicher, Jensen hatte sich ihr nähern, sie an seine Brust ziehen und sogar küssen wollen. Deswegen war sie so sehr in Panik geraten, dass sie davonlaufen wollte und gestürzt war. Oder war alles nur Einbildung und Hysterie? Plötzlich wurde sie unsicher, wollte sich die widerstreitenden Gefühle nicht anmerken lassen. Musste Haltung bewahren. Schließlich würde sie ein ganzes Jahr lang in den Diensten des Kaufmanns stehen und mit ihm auskommen müssen. Sie rang sich ein Lächeln ab.
    »Ich danke meinem Retter und wünsche ihm noch einen angenehmen Tag.«
    »Meine Empfehlung, die Damen.« Bei diesen Worten legte Jensen einen Zeigefinger an die Hutkrempe und entschwand in Richtung Vordeck. Dorothea kam es so vor, als verzerre ein verächtlicher Zug seinen Mund.
    »Habe ich da vielleicht etwas missverstanden, Fräulein Fassbender? Ich meine … ich wollte in kein Gespräch hineinplatzen, das … das mich nichts angeht. Der Herr Jensen ist ein redlicher Kaufmann, ein erfahrener, älterer Mann, sicherlich in gewisser Weise anziehend für manche junge Frau … Bitte verzeihen Sie.« Zum ersten Mal erlebte Dorothea die Österreicherin ratlos und verlegen.
    »Aber nein, es ist völlig anders, als Sie denken. Ich bin Ihnen sogar dankbar, dass Sie im richtigen Augenblick aufgetaucht sind, denn … Ach, ich weiß gar nicht, was mit mir ist.« Dorothea humpelte zu einer Backskiste. Ihr linker Knöchel tat weh, vermutlich hatte sie ihn sich beim Sturz verrenkt. Vorsichtig ließ sie sich auf dem hölzernen Deckel nieder und rieb sich die schmerzende Stelle. Elisabeth setzte sich zu ihr. Eine Weile verharrten die beiden schweigend nebeneinander, während ein pfeifender Wind kräftig in die Segel über ihren Köpfen drückte und das Schiff zügig durch die Wellen trieb. Sie waren die einzigen Passagiere an Deck. Der Kapitän stand hinter dem Steuerrad und schmauchte eine Pfeife, zwei Schiffsjungen hatten am Bugspriet ihre Beobachterposten bezogen.
    Elisabeth räusperte sich. »Wenn ich etwas sagen darf … Ich habe mir von Anfang an gedacht, dass es zwischen Ihnen und dem Hamburger Kaufmann eine gewisse Beziehung gibt. Er tut so vornehm und distanziert, dabei hat er Sie ständig im Blick. Und merkt gar nicht, dass ich ihn dabei beobachte.«
    »Dann stimmt es also doch. Ich dachte schon, ich hätte mir das nur eingebildet.« Dorothea seufzte leise und hob die Schultern. »Was halten Sie von ihm? Glauben Sie, man kann ihm vertrauen?«
    Nachdenklich lehnte Elisabeth sich zurück, schlug die Beine übereinander und wippte mit der Fußspitze. »Ich bin mir nicht sicher. Obwohl … wahrscheinlich ist er, auch wenn er bereits in die Jahre gekommen ist, einfach nur ein reiselustiger Mann. Jemand, den es langweilt, zu Hause hinter dem Ofen zu hocken und sich von seiner Frau herumkommandieren zu lassen.«
    »Er ist nicht verheiratet«, entgegnete Dorothea.
    »Da schau her!« Elisabeth zog erstaunt die Brauen hoch. »Solche persönlichen Einzelheiten kennen Sie … Dann gibt es also doch eine geheime Verbindung zwischen Ihnen beiden.«
    Dorothea presste die Lippen aufeinander, wollte zurückhalten, was ihr auf der Seele lastete, doch dann brach es unvermittelt aus ihr heraus. Weil sie Elisabeth seit nunmehr vier Monaten kannte und sicher war, ihr vertrauen zu können. Und so erzählte sie von ihrem Zuhause in Köln, von ihren Eltern, vom Tod des Verlobten, dem Kind, das sie verloren hatte, von dem zerplatzten Zukunftstraum und warum sie in Jensens Schuld stand. »Aber das wollte ich nicht vor aller Ohren zugeben. Deswegen habe ich behauptet, ich vertrüge das Klima in Deutschland nicht«, gab Dorothea unumwunden zu.
    Elisabeth hatte

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