Das Land zwischen den Meeren
Matrosen aus den Holzverschlägen geholt werden, wenn das Schiff im Hafen festgemacht hatte.
Elisabeth von Wilbrandt war die Einzige, die an der Pazifikküste bleiben wollte. Alle anderen Passagiere aus dem Zwischendeck hatten eine weitere Reise vor sich – ins Landesinnere, ins Valle Central. Dort würden ihre Wege sich trennen. Die drei Familien wollten in der Nähe von Alajuela Land pachten und bewirtschaften. Und Dorotheas Ziel war die Hauptstadt San José.
Sämtliche Passagiere befanden sich an Deck, als der Segler im Hafenbecken vor Anker ging. Frachtschiffe, die Güter wie Lederwaren, Wein und Kaffee entlang der nord- und südamerikanischen Westküste transportierten, legten hier eine Zwischenstation ein und verhalfen den Bewohnern der kleinen Stadt zu einigem Wohlstand. Boote kehrten vom Meer zurück und legten an Holzstegen an, die längs ins Wasser ragten. Die Fischer wurden bereits von Hausfrauen erwartet, die aus dem Fang Zutaten für die Mittagsmahlzeit ihrer Familien auswählten.
Die Mannschaft hatte sich vollständig an Deck versammelt, als der Kapitän seine Passagiere verabschiedete. Erik Jensen sogar mit Handschlag. Die anderen Männer murmelten Worte des Dankes für die erfolgreiche Überfahrt. Alle drängten sich, die Boote zu besteigen, die sie zum Steg beförderten. Danach wurde das Gepäck ausgeladen. Elisabeth von Wilbrandt hatte sich bereits mit einem jungen Mann in weiter schwarzer Hose und einem weißen Leinenhemd durch Zeichensprache und einige Brocken Spanisch verständigt, dass sie eine Droschke benötige und Richtung Süden weiterreisen wolle. Er solle ihre Koffer schon einmal aufladen. Dann verschwand sie eilig in der Capitana, im Hafenamt, und kam bereits nach kurzer Zeit wieder heraus.
Obwohl sie endlich festen Boden unter den Füßen hatte, spürte Dorothea noch immer ein Schwanken und Rollen in sich, das sie in den letzten fünf Monaten begleitet hatte. Sie ließ ihren Koffer stehen und ging zu Elisabeth hinüber. Es waren die ersten Schritte auf dem Boden des Landes, von dem sie so lange geträumt hatte. Eigentlich hätte sie überglücklich sein müssen. Doch sie hatte keinen Blick für die Palmen, die sich zwischen den niedrigen, in kräftigen Farben gestrichenen Holzhäusern in die Höhe reckten, nicht für den Himmel, der sich klar und strahlend blau über ihr wölbte, nicht für die Menschen, die mit ihrer dunklen Haut, den tiefschwarzen Haaren und den kohlschwarzen Augen viel hübscher und freundlicher aussahen, als sie es sich ausgemalt hatte. Sie lauschte nicht dem melodischen Klang der fremden Worte, die zwischen den Fischern und den Frauen hin und her flogen. Denn ihr war das Herz schwer. Weil sie von einer Frau Abschied nehmen musste, die ihr lieb und wert geworden war, mit der sie viele Stunden gemeinsam verbracht hatte. Stunden, in denen sie miteinander geredet, geträumt und gelacht hatten.
Elisabeth breitete die Arme aus und drückte Dorothea fest an sich. »Du wirst mir fehlen, meine Liebe.«
»Du mir auch, Elisabeth. Was hast du als Nächstes vor?«
»Ach, ich werde so lange die Küste hinunterfahren, bis ich ein Fleckchen finde, das mir gefällt. Irgendwo an einer Straße, die ins Landesinnere führt, und wo auch Händler und Reisende vorbeikommen. Und dann schaue ich mal, ob es mir gelingt, eine Pension oder ein Hotel zu eröffnen.« Elisabeths muntere Stimme wurde ernst. Sie zwinkerte eine Träne weg. »Und du? Wirst du es schaffen als Verkäuferin in einem Gemischtwarenladen? Oder muss ich mir Sorgen um dich machen?«
»Aber nein. Ich werde die Zeit schon durchstehen. Außerdem können wir uns schreiben. Und uns vielleicht irgendwann auch besuchen.« Dorothea nickte, wie um ihre Worte zu bekräftigen, und konnte doch ein leises Schluchzen nicht unterdrücken.
Ein letztes Mal umarmten sich die Freundinnen, dann bestieg Elisabeth das bereitstehende Fuhrwerk und ließ den Kutscher antraben. Sie wandte sich noch einmal um und winkte fröhlich, warf Dorothea eine Kusshand zu. Erst als der leuchtend rote Hut nicht mehr zu sehen war, kehrte Dorothea traurig zu den anderen zurück.
Inzwischen hatte das Ehepaar Behrens wort- und grußlos ein kleineres Segelschiff bestiegen. Sie waren auf dem Weg nach Guanacaste, wo sie einen Weinhandel eröffnen wollten. Der kleine Rufus Reimann hatte dies aus einem heimlich belauschten Gespräch zwischen Herrn Behrens und dem Obersteuermann in Erfahrung gebracht.
Dorothea, die nicht als Einwanderin, sondern als Reisende
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