Das Landmädchen und der Lord
niemals verkraften würde. Eine solche Wirkung hatte noch keine Frau auf ihn ausgeübt. Jetzt verstand er, was Gerard während der höllischen Monate in Spanien allen Lebensmut genommen hatte.
Mag mein Plan auch riskant sein – wenn nichts schiefgeht, werde ich einen wundervollen Preis gewinnen, dachte Harry. Natürlich musste er erst einmal Susannahs Ball abwarten. Auf diesen besonderen Abend freute sie sich, und er durfte nichts unternehmen, was ihr Glück trüben könnte. Vielleicht würde er am Tag danach die Initiative ergreifen. Sein Besuch in London näherte sich dem Ende, und falls er sein Ziel nicht erreichte … Nein, an einen Fehlschlag wollte er nicht denken, das wäre zu schrecklich.
In dieser Nacht ging Susannah glücklich zu Bett. Ein paarmal hatte sie während des Tanzabends Amelias nachdenkliche Miene bemerkt. Zweifellos hatte sie den Earl vermisst. Er war nicht eingeladen worden, denn auf dieser kleinen Party hatten sich nur fünfundzwanzig Gäste eingefunden.
„Wie ich zufällig weiß, muss Gerard sich derzeit um andere Dinge kümmern“, hatte Harry erklärt. „Da gibt es einige Probleme, die seinen Landsitz betreffen. Wahrscheinlich hat er die Stadt für ein paar Tage verlassen.“
„Er wird doch zu meinem Ball kommen?“
„O ja, ganz sicher, weil wir am Vortag im Four-in-Hand-Club verabredet sind. Ich habe den Sohn meiner Schwester als neues Mitglied vorgeschlagen, und wir werden darüber abstimmen.“
„Für Mr. Sinclair wäre das überaus wichtig. Er möchte Ihnen nacheifern, Pendleton. Dauernd erzählt er mir, wie sehr er Sie bewundert.“
„Tatsächlich?“ Harry hob die Brauen. „Nett von ihm … Keine Ahnung, was er damit bezweckt.“
„Wie unfreundlich Sie sind!“, schimpfte sie. Aber ihre Augen funkelten voller Belustigung. „Hinter seiner Zuneigung verbergen sich sicher keine Hintergedanken.“
„Das weiß ich. Obwohl er sich gerade die Hörner abstößt, ist er ein vernünftiger junger Mann. Ich möchte ihn an einem neuen Geschäftsprojekt beteiligen. Bitte, das dürfen Sie ihm nicht verraten. Bevor er sich den ernsten Dingen des Lebens zuwendet, soll er sich noch ein bisschen amüsieren.“
„Oh …“ Verblüfft starrte sie ihn an. Lord Pendleton überraschte sie immer wieder. Dass er so viel Verständnis für die Eskapaden eines jungen Mannes aufbrachte, hatte sie ihm nicht zugetraut. Mit jedem Tag erschien er ihr liebenswerter. Bei allen gesellschaftlichen Ereignissen trafen sie sich, und sie ahnte, er würde die Veranstaltungen nur besuchen, um sie zu sehen. Er hatte sie gefragt, ob sie ihn auf einer Kutschenfahrt im Park begleiten würde. Diese Einladung hatte sie noch nicht angenommen, denn sie glaubte, dann würde sich die Beziehung vertiefen. Ob sie sich seinen Heiratsantrag wünschte, wusste sie nach wie vor nicht. So freundlich und großzügig Pendleton auch sein mochte – sie sehnte sich nach einem Abenteuer.
In acht Tagen würde sie mit ihrer Mutter und Amelia nach Bath abreisen. Und in drei Tagen fand ihr Ball statt. Wenn sie sich auch nicht vorstellen konnte, warum – plötzlich hatte sie das Gefühl, in dieser Zeit würde irgendetwas Aufregendes geschehen.
Am nächsten Vormittag verließ Susannah die Leihbibliothek, wo sie ein paar Bücher für ihre Mutter zurückgebracht und zwei für sich selbst ausgesucht hatte. Ihre Zofe trug ein kleines Päckchen, das sie für Amelia aus einem Laden geholt hatten.
Als sie vor dem Schaufenster einer Hutmacherin stehen blieb, traten zwei Mädchen an ihre Seite.
„Wann wird denn deine Verlobung bekannt gegeben?“, fragte eine der jungen Damen.
Diese Stimme kannte Susannah. Neugierig spitzte sie die Ohren.
„Oh, schon bald“, antwortete Mary Hamilton kichernd. „In letzter Zeit war er ganz besonders aufmerksam. Und Mama erwartet, er wird noch vor dem Ende dieser Woche um meine Hand anhalten.“
Lächelnd wandte sich Susannah zu den beiden Mädchen. „Guten Morgen, Jane – Mary …“
„Oh, ich dachte mir gleich, das müssten Sie sein“, sagte Mary. „Wollen Sie einen neuen Hut kaufen? Bald werde ich viele neue Sachen brauchen“, fügte sie kokett hinzu. „Vorerst darf ich den Namen des Gentleman nicht verraten – obwohl Sie’s vielleicht schon wissen, Susannah. Aber es ist noch nicht offiziell.“
„Ich verstehe. Dann wünsche ich Ihnen viel Glück. Entschuldigen Sie mich jetzt, ich muss nach Hause gehen, ich werde erwartet.“
Den Kopf hoch erhoben, eilte sie mit ihrer Zofe weiter und
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