Das lange Lied eines Lebens
Florences und Lucys sorgfältiger Pflege und von ihrem eigenen Leben, indem sie eine übelriechende braune Substanz erbrach, die schon längst aus jenem anderen Loch hätte herausfallen sollen.
Sie wurde am selben Tag begraben, an dem auch die Missus, Agnes Howarth, und deren jung verstorbener Säugling hinabgesenkt wurden. Der Missus, die während der Geburt eines Sohnes verstorben war, der auf dieser Erde nur zwei Tage zu leben gehabt hatte, folgte eine lange Schar von Trauergästen, die mit ihren Kutschen und ihren Sklaven den Zugang zum Friedhof verstopften, sodass drei der vornehmeren Damen (frisch aus England und für den Gottesdienst in schwarze Wolle gekleidet) in der Mittagshitze ohnmächtig wurden.
Mary, das Dienstmädchen, wurde wenige Gehminuten hinter der Küche begraben, in der Nähe des Versorgungsfeldes von Florence und Lucy. Denn anstelle ihres trauernden Bruders, dessen Aufgabe es eigentlich gewesen wäre, hatte Caroline beschlossen, dass ein christliches Begräbnis für ihr ehemaliges Mädchen-für-alles nicht nötig sei. So banden sich die beiden Negerfrauen ihre besten roten Kopftücher um, stritten sich unablässig darüber, ob ein weißes Mädchen für seine Heimreise wohl Rum brauchte, und sangen nicht nur eine Totenklage, sondern die Melodie eines eben erst erlernten Kirchenlieds, während sie Mary in eine Grube legten und sie so den stolzen Armen von Godfreys verstorbener Frau überantworteten. Godfrey nahm an der Beerdigung nicht teil, denn er fürchtete, dass seine Frau, je dünner die Erde über ihren Knochen wurde, einen Grund finden könnte, ihn aus dem Jenseits zu schelten.
Und ach, was hatte Caroline in jenen Tagen geweint! Nicht etwa aus Kummer über den plötzlichen Verlust ihrer Schwägerin,
ihres Neffen und ihres Dienstmädchens, denn eigentlich hatte sie mit keinem von diesen auf vertrautem Fuße gestanden. Nein. Sie schluchzte: »Ich hasse dieses Haus, und ich hasse diese Insel, Marguerite … Was habe ich hier zu suchen? … Bin ich hierfür aus England gekommen? … Mein Bruder kennt mich kaum … Oh, warum nur muss ich bleiben? … Weil ich keine andere Wahl habe, deshalb …« Denn auf der ganzen Welt hatte sie keine Gefährtin, keine Freundin, schon gar nicht auf dieser elenden Insel Jamaika, ausgenommen ein kleines Negermädchen namens Marguerite.
Sie mochte also drohen, soviel sie wollte, doch niemals hätte Caroline Mortimer einem Mann von der Miliz oder einem Rotrock gestattet, July abzuführen, zu rädern oder in den Stock zu sperren. July war jetzt achtzehn und verschwendete keine Zeit auf die Sorge, ihre Missus könnte sie auf die Felder zurückschicken, ganz gleich, wie oft diese dämliche weiße Frau sie verwarnte. Denn was sollte Caroline ohne sie anstellen?
Wer anderes als July konnte der Missus bei ihrer morgendlichen Bürde helfen, die Drückeberger von den wirklich kranken Negern zu unterscheiden? Nun, da Agnes verschieden war und Carolines Bruder in so trüber Gemütsverfassung, dass er nur selten sein Bett oder seine Kammer verließ, und nun, da der Aufseher darauf bestand, dass dies eine Aufgabe für den Herrn oder die Herrin war, fiel es Caroline zu, jene Feldsklaven zu begutachten, die darauf hofften, Krankheit würde sie von der Arbeit befreien.Von grauem Staub bedeckt, humpelnd, mit unordentlicher Kleidung und in einer langen Schlange aufgereiht, kam dieses höchst mitleiderregende Gesindel mit seinen vorgetäuschten Leiden jeden Montagmorgen hustend, jammernd und hinkend zum Herrenhaus herauf, um sich von Caroline mustern zu lassen, die schon bei dem bloßen Anblick zitterte und schwitzte. Sie bestand darauf, dass July ihr nicht von der Seite wich. Und bei jedem Neger, der seine Beschwerden vorbrachte, flüsterte July ihrer Missus ins Ohr: »Nein. Dem
seine Kopfschmerzen kommen von zu viel Rum«, oder: »Dem seine schwarze Zunge is’ keine Krankheit nich’, kann man abwischen«, oder: »Vorsicht, Missus – Tripper«, während sie ihrer Missus ein mit Veilchenessenz parfümiertes Taschentuch hinhielt, damit sie während dieser Belastungsprobe ihrer Nase zufächern konnte.
Und wer anderes als July wusste, dass man in den Morgenkaffee ihrer Missus fast ein ganzes Fass Zucker zu schütten hatte? Denn war es auch nur etwas weniger, zog sie ein schmerzverzerrtes Gesicht wie ein ausgepeitschtes Kind oder quiekte, der Kaffee sei zu sauer. Oder dass sie ihre Sangaree nicht mit Limettensaft trank, sondern mit der bitteren Schale einer Zitrone? Und dass
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